Die Regentin (German Edition)
meinst du dazu?«
Das Mädchen schwieg immer noch, aber neigte sich nun vor, um die Schriften zu ergründen, mit denen sich die Königin gerade beschäftigte.
An jenem Tag, da sie Rigunth zu sich genommen hatte, hatte Bathildis befohlen, dass das Mädchen das Schreiben und Lesen lerne, doch sie hatte nie überprüft, ob dieses Bemühen gefruchtet hatte. So wusste sie nicht, ob Rigunth etwas mit der Papyrusseite anfangen konnte, die vor Bathildis auf dem hölzernen Lesepult lag und worauf sie manches Wort festhielt, über das sie in den letzten Nächten nachgesonnen hatte.
»Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist«, warf sie nun vorsichtig ein.
»Aber du verstehst mich doch!«, gab Bathildis forsch zurück. »Du teilst doch mein Los! Du weißt, dass es vonnöten ist...«
Sie brach ab.
Bislang war ihr Rigunth ob des tiefen, dunklen Blicks stets ein Halt und ein Ruhepunkt gewesen – erkannte Bathildis darin doch altvertrautes Leid und nie verheilte Wunde. Nun schien ihr freilich, als würde dieser Blick in ihrem eigenen bohren, würde mehr Verborgenes aufstöbern, als ihr lieb war, und den nackten Hunger nach Macht unter dem schützenden Mantel der Mildtätigkeit hervorzerren. Diesen Hunger fütterte sie gerne; er war ihr das liebste Tier, aber sie wollte nicht, dass ein anderer ihm in den aufgerissenen Rachen starrte.
Auch nicht Rigunth. Vor allem nicht Rigunth. Sie scheute deren Urteil, ahnend, dass sie nicht bestechlich war so wie Chlodwig, den sie sich in den letzten Wochen mit Streicheln und Liebkosengeneigt stimmen konnte. Denn so treu das Mädchen auch war, so unaufdringlich und anhänglich, so roch sie an ihr nie Furcht – die Furcht, zurück in den Hof zum Wasserschleppen geschickt zu werden. Sie hing nicht angstvoll an der Königin, war nicht davon getrieben, sich mit ihr gutzustellen, sondern bewahrte sich jene Unbestechlichkeit, die Bathildis an ihr ebenso schätzte wie fürchtete.
»Ja, es ist vonnöten«, bekräftigte Bathildis. »Da draußen teilen Hunderte dein Schicksal... und meines. Keine Seele erbarmt sich ihrer, so wie sich meiner der König erbarmt hat und deiner ich selbst. Ich will es ändern, Rigunth! Für dich... und für mich... und für...«
Und für Aidan, dachte sie.
»Gewiss«, sprach Rigunth, »doch suchst du die Verbündeten in den richtigen Kreisen?«
»Wer erbarmt sich sonst der Armen und Kranken und Alten? Wer, wenn nicht die Männer Gottes?«
»Ein einfacher Priester vielleicht, der mit seinesgleichen bescheiden und arm in einem Haus neben der Kirche wohnt und für die Gemeinde lebt. Doch selbst jener nicht immer. Gedenke des Mönchs, der Moschia und Taurin erst Asyl gewährte und dann doch nicht beherzter dazwischentrat, als sie lebendig begraben werden sollten.«
Ja, dachte Bathildis grimmig, ja, ich habe ihn gesehen, ich habe ihn gehört... so wie ich Answin erlebte, diesen grässlichen Sachsen, der mich an Sicho verkauft hat.
»Aus eben diesem Grund habe ich keine Mönche zu mir gebeten, sondern Bischöfe«, erklärte sie fest. »Sie haben die Macht, das Land zu ändern! Sie können ihren Untergebenen befehlen – noch besser als der König!«
Rigunth zuckte wieder mit den Schultern.
»Mich hat ein Bischof einmal mit bloßen Händen geschlagen, als ich versehentlich einen Tropfen Wachs auf diese Hände fallen ließ. Er hat ihn nicht einmal gespürt, denn er trug die weißenHandschuhe, wie es den Männern seines Rangs geboten ist. Die hat er im Übrigen ausgezogen, als er mich ohrfeigte.«
»Schlechte Menschen gibt es viele und in sämtlichen Kreisen. Von einem kann man nicht auf alle schließen. Und wenn sie hierher zu der Versammlung kommen, zu der sie Chlodwig alle halbe Jahre lädt, und ich hernach Gelegenheit finde, mit ihnen zu sprechen, dann...«
»Ich will nur sagen«, fiel Rigunth ihr mit rauer Stimme ins Wort, »dass du von ihnen Güte nicht erwarten kannst. Manch einer von ihnen mag ein vorbildlicher Christ sein – doch andere sind Sünder, die sämtliche Tugenden mit Füßen treten.«
»Dass auch sie Sünder sind, dessen bin ich mir gewiss«, sagte Bathildis. »Doch will ich nicht über sie richten, sie lediglich darum bitten, ihr Herz zu öffnen für Menschen in Not, wie ich und du es waren...«
Rigunth senkte die Augenlider. So schnell verbarg sie ihren Blick, dass ihr Gesicht, bar der dunklen Höhlen, einem weißen Loch glich. Die Lippen fielen kaum auf darin – nur, dass sie ein wenig bebten, desgleichen die Nasenflügel.
Bathildis
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