Die Regentin (German Edition)
über bedeutenden Einfluss verfügt hatten.
»Mein Vater freilich stammt aus Austrasien... und in den letzten Jahren scheint’s mir, dass man nicht gerne sieht, wenn jene beiden Länder, die einst doch eines waren, zu eng zusammenrutschen. Drüben in Austrasien misstrauen sie mir, weil ich nunmehr zu lange in Rouen gewirkt habe, um noch ihresgleichen zu sein. Und hier hält man mir vor, ein Fremder zu sein, und ein sehr eigentümlicher obendrein. Was, denkst du, hatte man zu tuscheln, als ich im letzten Jahr den Bau einer Wasserleitung stiftete – anstelle einer neuen Kirche, wie es doch die Bischöfe ansonsten tun?«
Sein Gesicht war rot und aufgedunsen, die Tränensäcke schwere Wülste. Er sah wie einer aus, der gerne aß... und alles andere, was ihm das Leben fortsetzte, mit gleichem ausdauerndem Appetit schluckte.
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte sie, verstört, weil sie nicht einzuschätzen wusste, warum er derart lange zu ihr sprach.
Er schnaufte – vielleicht war’s seine Art zu kichern. In allem, was er tat und sagte, wirkte er amüsiert, wohl auch, weil er trotz mancher Anfeindung niemals eine echte Notlage erdulden hatte müssen. Von Rouen hieß es, dass es nach Paris der wichtigste Ort in Neustrien sei, und die Stimme eines Bischofs von dort besaß Gewicht.
»Nun«, sprach er gutmütig und hallig, »ich will dir nur sagen, dass ich dir ganz gewiss nicht vorwerfe, eine Sklavin zu sein. Einfältig ist, wer sich daran stört. Einer der größten Gelehrtendes Frankenreichs, ein gewisser Andarchius, welcher ein großer Mathematiker und Rechtsexperte war und schließlich eine reiche Erbin aus der Auvergne heiratete, war auch ein ehemaliger Sklave.«
»Das heißt, Ihr seid bereit, an meiner Seite...«
Sein profundes Lachen unterbrach sie. »Sehe ich aus wie einer, der sich in frommem Zorn erregen lässt?«, spottete er. »Der aufsteht, um gegen die Schlechtigkeit der Welt zu Felde zu ziehen?«
»Aber warum sagt Ihr dann...«
Überreizt hob Bathildis die Hände. Er tat es ihr gleich, und weil seine Glieder um vieles mächtiger waren, hatte seine Geste mehr Gewicht als ihre.
»Meine Königin... meine Königin. Ich habe nicht viel mit dem gemeinen Volk zu tun, und das will ich nicht ändern. Doch kenn ich einen aus meinen Kreisen, der jedes Wort von dir mit Freuden wiederholt hätte – weil er seit Jahren schon nichts anderes sagt. Er wird nicht müde, uns allen ständig vorzuhalten, dass schon der große Cäsarius einst am Hof von Ravenna die Sklaven freigekauft hatte. Er sieht’s als heilige Pflicht. Sodann – kämpf mit ihm... wenn es tatsächlich das ist, was du tun willst.«
»Mit wem?«
»Mit Bischof Eligius von Noyon. Er hätte heute hier erscheinen sollen, doch sind ihm Taten lieber als Geschwätz...«
In all den Jahren hatte Bathildis gedacht, dass ihre Erinnerung an den Sklavenmarkt von Quentovic frisch und unverfälscht sei, dass sie nur die Augen zu schließen brauche, um sich einstiges Grauen lebhaft vorzustellen, dass jene Wunde, die das Leben ihr geschlagen hatte, noch offen und feucht war. In Wahrheit war es zu einer lächerlich geringen Narbe verkommen, denn sämtliche Bilder, die sich in ihrem Gedächtnis herumtrieben, waren gereinigt von Lauten und Gerüchen. Beides traf sie nun ohneSchonung – und erst als sie ihm wieder ausgeliefert war, festzustecken schien in jener Wolke aus Ächzen und Stöhnen, aus Blut und Schweiß, da ahnte sie, dass es ein Fehler war hierherzukommen, dass sie noch lange nicht stark genug war... es nie wieder sein könnte.
Diese Erkenntnis brauchte nicht lange, um zu reifen. Sie überkam sie in jenem kurzen Moment, da sie die Ledervorhänge des Gefährts zurückschlug und nicht nur die Sonne, silbrig gleißend, in ihre Augen schnitt, sondern das Bild einer Stätte, welche jener glich, zu der man Aidan und sie einst verschleppt hatte.
»Halt!«, schrie sie. »Halt! Umdrehen! Dreht um!«
Sie kreischte die Befehle, noch ehe sie sich den Einzelheiten des grässlichen Bildes stellte. Das wollte sie auch nicht.
Menschenfleisch, ging ihr durch den Kopf, Menschenfleisch, dargeboten wie auf dem Fischmarkt, noch frisches und schon fauliges, fettes und zähes, blutiges und längst vertrocknetes.
Sie schlug die Hand vor den Mund und glitt zurück in das Gefährt. Es rumpelte, offenbar hatte man ihren Befehl verstanden. Doch der Versuch, hier auf dem Sklavenmarkt zu wenden, scheiterte schon nach einer halben Drehung an der Enge der Gasse, auf die die breite
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