Die Regentin (German Edition)
Welt zu ertragen?«, setzte sie zu sprechen an. »Wie an diesem Leid und Elend vorbeischreiten, ohne zusammenzuzucken ob der gequälten Schreie und verpesteten Ausdünstungen?«
Er antwortete nicht gleich, sondern deutete auf seine Kleidung. »Seht mich an!«, verlangte er.
Das edle Gewand deuchte an einem asketischen Menschen wie ihm und einem Ort wie diesem gänzlich unpassend – zeugte jedoch von seiner Vergangenheit. Ehe er Priester und später Bischof wurde, war Eligius Goldschmied gewesen. Gerne wurde von ihm erzählt, wie er sich als solcher das Vertrauen von König Chlothar errungen hatte, als jener ihn einen Sattel machen ließ, er mit dem Material sparsam umging, jedoch das, was übrig blieb, nicht veruntreute, sondern für einen zweiten Sattel verwendete. Der König war tief beeindruckt über so viel Ehrlichkeit gewesen.
Bathildis blickte verwirrt und wusste nicht, was sie aus seiner vornehmen Kleidung herauslesen sollte.
»Es ist gar so«, setzte Eligius da schon zur Erklärung an, »dass ich nicht nur die hässlichen Seiten der Welt kenne. Ich weiß dank meines früheren Berufs besser als manch anderer, dass sie auch übermäßig reich an Schönheit ist.«
Bathildis schüttelte den Kopf. »Um wie viel schlimmer muss es dann sein, das Hässliche zu sehen und an einen Ort wie diesen zu gehen!«
Er lächelte milde und setzte dann zur langen Rede an.
»Ich bin mir gewiss, dass der Tag, da die Geschichte vor dem Weltenrichter ihre Vollendung finden wird, unmittelbar bevorsteht. Seit ich lebe, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die weisen Köpfe rar geworden sind und selbst die Könige – verzeiht mir diese ehrlichen Worte, wem sonst als einem Mann Gottes stehen sie zu? – nur Abglanz früherer Macht und Herrlichkeit sind. Nicht anders kann ich es mir erklären, als dass wir im Greisenalter der Welt stehen und darum die Schärfe des Geistes nachgelassen hat. Doch eben weil es so ist und die hiesige Welt ein Ende finden wird, zu jener Stunde, da sich das Tor des Himmels auftut und ein Lamm die sieben Siegel öffnet und die Engel die sieben Posaunen blasen und ein Drache von dem Himmel stürzt, welcher Satan ist – all das als Zeichen des Jüngsten Tages –, so habe ich längst befunden, dass es keinen Wert verspricht, wird meinem Auge geschmeichelt. Was ich heute trage, geschieht zum Zeichen meiner Würde, die andernfalls dem einfachen Menschen nicht sichtbar wäre – doch es treibt mich kein inneres Verlangen mehr danach, keine tiefe Freude an den Herrlichkeiten. Als ich sie bearbeitete – die Edelsteine, das Silber, das Gold –, da empfanden meine Seele und mein Herz etwas, das sich wie Wollust anfühlte, wiewohl jene gewöhnlich den Leib erfasst, nicht das Unsterbliche im Menschen. Nun, ich war im tiefsten Inneren davon berührt. Nichts bedeutete mir vollendeteres Glück und größere Freude.«
Sein Lächeln verstärkte sich, wurde wehmütig. »Doch an jenem Tag«, fuhr er fort, »da ich mich Gott weihte, so wusste ich, dass ich ihm nicht nur meinen weltlichen Besitz zum Opfer bringen müsste, sondern auch diese Freude am Schönen – wo jenes in seinen Augen doch nur vergänglicher Plunder ist, die wahre Pracht aber im Himmel wartet. O, ich will sie sehen, diese Pracht, ich will wissen, wie der Himmel glänzt und prunkt, und für diesen Anblick bin ich gern bereit, auf sämtliche irdische Pracht zu verzichten, auf sämtlichen weltlichen Reichtum, der ja doch nur fahles Abbild der himmlischen Wirklichkeit ist. Ja, dies habe ich beschlossen: Nicht länger will ich genussvoll Schönes schauen – bis zu dem Moment, da ich durch das Himmelstor treten mag, sofern denn meine arme Seele für würdig befunden und zu den Gerechten gezählt wird.«
Bathildis starrte verständnislos. Sie verstand nicht recht, was er ihr sagen wollte.
»Doch just an diesem Tag, da ich mich der Schönheit widersagte«, setzte er da schon hinzu, »so hatte es auch keine Bedeutung mehr, das Hässliche zu schauen. Weder freut das eine, noch quält und schmerzt das andere.«
Er blickte sie an, die Lider halb über den Augapfel hängend, ein schwerer Blick, ausdauernd und abgehärtet, und zugleich – in seinen Tiefen – so traurig und wehmütig, als wäre das Opfer, von dem er so selbstverständlich sprach, trotz festem Glauben eine tiefe Wunde, die manches Mal nässte – ob er es ihr nun gestattete oder nicht.
»Wollt Ihr sagen, dass ich den Anblick nur darum nicht ertrage, weil meine Seele noch die
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