Die Regentin (German Edition)
Schönheit kennt?«
»Vielleicht ist’s nicht dein Charisma, sich dieser zu versagen so wie ich, Königin. Vielleicht ist’s auch vonnöten – dies kommt mir in den Sinn, da ich dich so entsetzt vor mir hier sehe –, dass manches Mal mein Blick von einer geteilt wird, die noch... schauen kann. Nun, was ist es, was dich zu mir führt, Königin?«
Diese Worte verstand sie; dennoch antwortete sie nicht auf seine Frage, sondern stellte selbst eine.
»Wie kommt es, dass Ihr dem Unrecht dieser Welt entgegentretet, obwohl Ihr doch vermeint, dass jene nicht von langer Dauer sei? Wenn Ihr den Blick aufs Schöne ins Jenseits verschiebt – warum nicht auch die Linderung der Elenden?«
»Du hast einen scharfen Geist, Bathildis. Das gefällt mir.«
»Ihr gabt mir keine Antwort!«
»Vielleicht ist’s, weil mir bei der Betrachtung der Welt nicht nur das Gefühl für das Schöne und Hässliche fehlt, sondern auch die Geduld, wie sie der Allmächtige in übergroßem Maße besitzt. Ich will... ich kann auf die Gerechtigkeit nicht warten.«
Ein wenig hob er die Lider – eine unerwartete Regung. Als sich das Auge ihr ganz zeigte, so wähnte sie es aufblitzen, lebendig und frisch und tatenhungrig. Im nächsten Augenblick freilich hatte er sich schon abgewendet, seine Bewegungen wurden steif und beherrscht und ein wenig auch so, als schmerzte ihm der Rücken, obwohl er es nicht zeigen wollte.
»Nun, ich frage dich ein zweites Mal: Was führt dich zu mir, Königin?«
Sie zögerte kurz, dachte an Ebroin und seine verlockenden Worte, und wie viel leichter es wäre, Wut und Hass mit ihm zu teilen und zu entladen suchen, anstatt sich dem Elend der Vergangenheit zu stellen.
»Ich will deine Gefährtin sein bei dem, was du tust«, erklärte sie dennoch fest. »Ich will Gutes tun.«
Wieder lichtete sich kurz sein Blick. Sie wusste nicht, was anstelle der üblichen Resignation darin erschien – väterliche Freundlichkeit und Bewunderung oder Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit, vielleicht sogar ein wenig Neid, weil sie – im Gegensatz zu ihm – noch eine Getriebene war und keine, die mit der Welt vermeintlich abgeschlossen hatte.
»Folge mir, Königin«, murmelte er, »aber ich will dir nicht vorenthalten, was es bedeutet: Diese Aufgabe bringt nicht Ruhmoder Freude, nicht Anerkennung oder Genugtuung. Das denkst du am Anfang – doch später nicht mehr. Später wirst du dich vor der Welt ekeln, du wirst müde und stumpf werden, und manchmal, in schwachen Stunden, wirst du den Schöpfer verachten für dieses Jammertal, in das er uns stellte...«
»Das ist mir gleich«, bestand sie. »Ich will Gutes tun.«
»Gewiss«, stimmte er ihr zu, »doch vergiss nicht: Du bist hier die, die rettet. Ich kann dir nicht versprechen, dass du auch selbst gerettet wirst... vor was auch immer, das heimlich hinter deinem willensstarken Blicke tobt...«
XXII. Kapitel
Geliebter Aidan,
Bischof Eligius von Noyon ist im ganzen Land für seine außergewöhnlichen Taten bekannt. Überzeugt davon, dass die göttliche Macht stärker sei als die weltliche Gerechtigkeit, hat er schon manch Hingerichteten wieder vom Galgen holen lassen. Desgleichen hat er angewiesen, manche Tote vom Rad zu nehmen, auf dass sie wenigstens in christlicher Weise bestattet würden.
Seit Jahren ist er vom Trachten beseelt, Gefangene loszukaufen. Wo er nur hört, dass ein Sklave zum Verkauf steht, eilt er hin, zahlt das Geld und befreit den Gefangenen. Wenn zuweilen bei der großen Zahl derer, die zu retten sind, der Preis zu hoch wird, so gibt er alles hin, was er am Leibe trägt, sogar die Schuhe, nur um die Gefangenen zu befreien.
So weit gehe ich nicht – man hat mir eindringlich gesagt, dass dies einer Königin nicht würdig sei. Und doch, und doch: Ich folge seinem Trachten, begleite ihn gar manches Mal durch die Lande, und wenn dies bedeutet, dass ich wieder und wieder in den Höllenschlund blicken muss, so lohnt sich doch die Überwindung, weil ich gar viele, die dort hineingeraten sind, hinauszuführen vermag. So wie Eligius werfe ich den Pfennig für sie – es ist hier Brauch, dass man für Sklaven eine Münze einmal hochschnellen lässt, zum Zeichen, dass sie freigelassen werden – und verschaffte ihnen die »Carta«, den Freiheitsbrief, vom König selbst ausgestellt, auf dass sie in ihre Heimat zurückkehren oder hier ein freies Leben führen können.
Die ersten Wochen waren leichter zu ertragen, als sie es nach ihrem Zusammentreffen mit Eligius erwartet hatte.
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