Die Regentin (German Edition)
Ekel schmeckte sie auch weiterhin – doch niemals wieder die schrille Panik. Ihr Leben, entschieden einer Pflicht geweiht, schien sämtlichem Gleichmaß entrissen, und das Gefühl, stets aufs Neue und aufs Äußerste an den Rändern des Alltags zu balancieren, gab ihr Kraft.
Eligius hatte sie vor Illusion bewahren wollen – doch ungeachtet dessen resignierter Worte machte sie nun die Bekanntschaft mit jener Begeisterung, welche nur einer kennt, der sein Herz in den Dienst einer Aufgabe stellt und der vermeint, die ganze Welt retten zu können. Bathildis, die sich über Jahre der Starre ergeben hatte, hielt es jetzt nur schwer aus stillzustehen. Selbst in nächtlichen Stunden, die für den Schlaf bestimmt waren, fand ihr Herzschlag keinen gemächlichen Takt, sondern verbreitete vielmehr ein Brennen in der Brust. Bleiern schwer waren ihre Glieder dann in den Morgenstunden und ihre Augen müde und geschwollen – und doch hielt der Gedanke, die Welt für so viele Seelen erträglicher zu machen, sie frisch und aufrecht, desgleichen die Überzeugung, dass sie aus lauteren Motiven handelte, nicht etwa, um der Schwermut, der Verbitterung, dem Hass zu entkommen.
»Für mich kann ich nichts mehr verändern – jedoch für alle, die das gleiche Schicksal trifft«, sprach sie zu Rigunth. »Wärst du nicht froh, wenn dir erspart geblieben wäre... von deiner Familie getrennt zu sein?«
Für gewöhnlich schwieg das Mädchen, wenn sie von seiner Vergangenheit sprach. Jetzt gab Rigunth einen kläglichen Laut von sich, halb Murren, halb Schluchzen.
Sie muss tatsächlich Schreckliches erlebt haben, ging es Bathildis durch den Kopf, dass sie nicht davon zu sprechen vermag.
»Willst du mir nicht doch endlich sagen, welches Grauen hinter dir liegt?«, fragte Bathildis vorsichtig.
Rigunth schüttelte den Kopf, ihre dunklen Augen waren verloschen. »Das kann ich nicht, meine Königin«, sagte sie schlicht. »Das kann ich nicht.«
Bathildis beließ es dabei, von jenen Worten nur noch mehr getrieben, ihr Werk fortzusetzen. Es fiel ihr zwar nie leicht, über einen Sklavenmarkt zu gehen – doch anfangs war ihr oft, als müsste sie nicht mit schweren Schritten gehen, sondern könnte, beseelt von der eigenen Mildtätigkeit, leise schweben.
Erst nach und nach, anfangs noch unmerklich, dann immer rascher verlor sich die anfängliche, überbordende Beschwingtheit in einem Morast von Müdigkeit und Schwere, und jetzt erst begriff sie, was Eligius gemeint hatte, als er ihr die eigene Rettung absprach.
Den ersten Zweifel schürte einer, von dem sie es am wenigsten erwartet hatte. Es war dies Thille, einst Sklave von Eligius, als dieser noch Goldschmied und Münzmeister war und oft an mehreren Orten gleichzeitig zu arbeiten hatte, später von seinem Herrn befreit. Freilich fehlte ihm der Wille, mit dieser Freiheit etwas anzufangen, schlichtweg, weil er nicht wusste, was er vom Leben halten oder gar wollen sollte. So hatte ihn Eligius in seinem Dienst behalten, wenngleich sich nie erkennen ließ, was Thilles Aufgabe war: Er war für nichts anderes bekannt, als dass er mit trägen Schritten hinter seinem Herrn hertrottete. Wiewohl wortkarg hatte er doch zumindest so viel von sich erzählt, dass ein jeder von seiner angelsächsischen Herkunft wusste.
Als Bathildis davon erfuhr, schlug ihr Herz noch schneller als sonst schon in ihrem beschwingten, rastlosen Zustand. Sie stürzte zu ihm hin, die Muttersprache gebrauchend, die sie seit Jahren nicht gesprochen hatte. Sie kam ihr nur schwer von den Lippen, doch während sie beharrlich darum rang, so starrte sie der Mann, der sie alterslos deuchte, nur ratlos an und gab vor,nichts zu verstehen, ganz gleich, wie sehr sie sich darum auch mühte.
»Aber du kommst doch aus meiner Heimat!«, rief sie verwirrt.
»Will sagen, ich bin dieser Heimat entkommen«, meinte Thille ausdruckslos. »Denn die Wahrheit ist doch, dass hier im Frankenland die Kultur der Römer herrscht... wohingegen in Britannien noch immer die Barbaren hausen.«
»Wie – du willst nicht heimkehren?«
»Pah! Man müsste mich schon gewaltsam zurückschleifen...«
»Das verstehe ich nicht!«
»Die Wahrheit ist, dass ich kein besseres Leben haben könnte als dieses. Und ich bin gewiss, dass es vielen anderen Sklaven ebenso geht, dass sie sich dankbar schätzen können, irgendwann erbeutet worden zu sein...«
Sprach’s, rümpfte die Nase und gab – so selten dies auch war – zu verstehen, dass sein Gemüt nicht gänzlich
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