Die Regentin (German Edition)
eifriger als der restliche Körper. Sie kämpfte allein gegen die Verzagtheit, die Hände blieben schlaff und mochten sie nicht länger unterstützen. Vorsichtig hob Aidan die seinen, umgriff ihre Finger und schob sie von seinem Schoß.
»Ich verspreche es dir, Bathildis«, bekundete er nicht sonderlich zuversichtlich. »Ich werde darauf hoffen, dass es dir gelingt heimzukehren und dass du mich nicht im Stich lässt. Und wenn ich mich befreien kann und der Erste bin, der den Boden der Heimat wieder betritt, werde ich nach dir suchen.«
»Dein ganzes Leben?«
»Mein ganzes Leben.«
»Ich auch.« Und weil ihr dieser Schwur zu schwach schien, so fügte sie hinzu: »Ich... ich liebe dich. Ich liebe dich wie einen Gatten.«
Er antwortete nicht. Eine Weile hockten sie beide schweigend. Sie kämpfte mit sich, sollte sie ihre Augen geschlossen halten und sich ins Dunkel flüchten oder sie öffnen und in seiner Miene lesen, ob er seinen Schwur aufrichtig meinte, ob er an dessen Erfüllung glaubte?
Ich glaube daran, bekräftigte sie sich. Ich glaube daran. Ich werde nie aufhören, daran zu glauben...
»Du musst mir auch etwas versprechen«, setzte er unwillkürlich an. »Wenn man dich morgen holt, so will ich nicht sehen, wie du gehst. Und du darfst dich nicht nach mir umdrehen. Ich will nicht, dass du mich so elend in deiner Erinnerung bewahrst... zerschlagen, gefangen und wie ein Diener hockend. Das... das würde mein Vater nicht wollen, dass du mich derart siehst.«
Kurz wollte sie einwenden, dass es dem toten Ricbert gleich sein konnte, welch erbärmlichen Anblick der Sohn bot, und dass es ihr selbst nichts ausmachte, weil sie ihn all die letzten Tage so gesehen hatte – so erbärmlich, so kraftlos, so mitleiderregend ... so verachtenswert.
Sie erschrak über den Gedanken.
»Natürlich!«, rief sie heftig, schlug die Augen auf und sah graues Licht hinter den Ritzen hockend, bereit, den finsteren Raum zu erobern. »Wir wollen einander so gedenken, wie wir uns das erste Mal gegenübertraten!«
Das Morgenlicht kam leise und langsam. Die Schritte hingegen, die alsbald auf dem Holz ertönten, waren forsch und laut.
Sie dachte, sie könnte es würdevoll ertragen und seinem Willen folgen. Doch als zwei der grimmigen, blonden Riesen die Kammer betraten und mit ihnen der Mönch, so überkam sie neben all der Verzweiflung und der Furcht auch kindlicher Trotz – als würde es genügen, einfach sitzen zu bleiben, auf dass der Mann Gottes nicht nur sie errettete, sondern auch Aidan.
Sie sah nicht hoch, presste sich auf den Boden, als könne sie solch tiefe Wurzeln dareinschlagen, dass man sie erst mühsam ernten müsste, und als einer der Männer sie an den Achseln packte und mit Leichtigkeit hochzog, schlug sie um sich.
Das alles geschah lautlos, wiewohl es so nicht minder ungehörig war. Das zumindest schien Aidan zu befinden.
»Bathildis!«, rief er erschrocken aus. »Hör auf damit! Das lohnt sich nicht, das schickt sich nicht!«
Sie hielt inne, sie würde nicht ertragen können, wären dies die letzten Worte, die er jemals zu ihr sprach.
»Bitte...«, seufzte sie und gab auf, »bitte... vergiss nicht, was wir uns versprochen haben.«
Der Nordmann schleifte sie nunmehr über den Boden, ohne dass sie Widerstand leistete. Ein Holzsplitter drang zuerst durchihr Kleid, dann in die bloße Haut. Sie schrie auf, Aidan jedoch blieb wortlos.
Oh, wenn er doch noch ein Wort sagte, keins der Mahnung, ein Wort der Hoffnung!
Als sie in die Nähe der Luke kamen, die aufs Deck führte, brach sie ihr Versprechen. Sie wendete den Kopf, warf ihm den Blick zu, den er ihr verboten hatte, und nahm alles gierig auf, was sie noch von ihm sehen konnte, gleich so, als würde sie den Boden der Schüssel auslecken, auf dass ihr kein Bissen, kein Tropfen entginge.
Er tat es ihr nicht gleich. Er verhielt sich so, wie er es beschlossen hatte, blickte auf seine Knie, nicht zu ihr her.
War er der Stärkere, weil er sich daran hielt? Oder sie, weil sie ihn nicht aufgeben wollte?
Die kräftige Gestalt des rohen Mannes verstellte ihr bald den Blick.
Ihr Kopf schmerzte, als würde er platzen, so fest presste sie die Zähne aufeinander, um nicht wieder laut zu schreien.
Ich werde dich Wiedersehen!, hämmerte es darin. Ich werde dich Wiedersehen! Ich werde dich Wiedersehen!
Der Himmel war bleich; das Gesicht des Mönchs Answin auch. Er hielt die Lippen so fest zusammengekniffen, dass sich über die eingefallenen, großporigen Wangen
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