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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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wie man sich einem wilden Tier entgegenstellt, dessen Aufmerksamkeit man nicht erregen will. Sie senkte auch den Blick, auf dass niemand ihr banges Beobachten erfühlen konnte. Dann freilich kam ihr der Gedanke, dass man sie in Sichos Nähe vermuten und darum nach ihr suchen könnte, und sie ließ sich möglichst geräuschlos über den Wegrand fallen und in den Schatten einer der hohen Eichen rollen.
    Das Herz pochte ihr bis zum Hals. Sie war unschlüssig, ob sie aus den grässlichen Lauten abzulesen versuchen sollte, ob der Überfall seinem Ende zuging, oder ob es besser war, sich die Ohren zuzuhalten und sich Sichos Schreien zu verweigern.
    Anfangs hatte er sich noch zu wehren versucht. Um Hilfe hatte er geschrien, und gewettert hatte er gegen das gemeine Diebespack, das ihn da anfiel, zwar nicht mit Schwert oder Knüppel bewaffnet, sondern nur mit der Kraft der eigenen Fäuste, doch stark genug, um einen kränklichen Mann wie ihn vom Wagen zu zerren, in den Dreck zu schleudern und auf ihn einzuprügeln und einzutreten.
    Irgendwann musste ihm Gleiches aufgegangen sein wie Bathildis: dass er keine Hilfe erhoffen durfte. Dass die Männer, die über ihn herfielen, keine Räuber waren, sondern Bewohner des Dorfes, das sie eben hinter sich gelassen hatten, angestachelt wohl vom Mann der alten Bäuerin, die ihnen Unterkunftgewährt hatte. Jener hatte sich wohl ausgedacht, Sichos Vorräte an sich zu reißen.
    Anstelle von Hilferufen stieß der Kaufmann nun Gebete aus, versuchte, den gemeinen Angreifern die Strafe Gottes vor Augen zu halten, die sie mit solchem Frevel auf sich zogen – und schaffte es nicht mehr. Eine Faust (oder war es eine Ferse?) traf ihn mitten ins Gesicht und ließ seine Stimme im Blutfluss ertrinken. Leiser wurde sein Kampf, als man hernach von allen Seiten auf ihn einhieb, weitere Male das Gesicht traf, dann Brust und Bauch. Irgendwann – nach einer Ewigkeit, wie Bathildis es deuchte – verstummte er gänzlich. Knackende Knochen, vielleicht der zerberstende Kiefer oder der geplatzte Schädel, waren das Letzte, was von ihm zu hören war, entweder weil er tot war oder weil das eitrige Maul solchen Schmerzen nicht standhielt und diese ihn in Ohnmacht hüllten.
    Bathildis kroch langsam aus dem Schatten und wagte einen vorsichtigen Blick zur Stätte des Unheils. Wiewohl auf der einsamen Landstraße unbeobachtet, wollten die Männer ihr Werk schnell zu Ende bringen. Ein jeder nahm sich so viel, wie er an Weinamphoren und an Getreidesäcken tragen konnte. Selbst der Ochse ward vom Wagen losgebunden und mitgeführt.
    Noch immer trommelte ihr Herz schmerzhaft laut. Es war nicht der Überfall auf Sicho, der sie entsetzte, sondern die Erinnerung, die er heraufbeschwor – die Erinnerung an das aufspritzende Blut ihres Vaters und die Rohheit der Friesen, die all seine Begleiter gemeuchelt hatten... bis auf sie und Aidan. Nur, diesmal war sie ganz allein.
    Sie wissen, dass ich ihn begleite, hämmerte es in ihrem Kopf; vielleicht werden sie zurückkommen, um auch mich zu holen.
    Sie erhob sich ächzend, die Glieder so steif, als wäre sie alt und weit gereist wie Sicho. Zuerst zog es sie tiefer in den Schatten des Waldes, dann sah sie, dass sie Spuren im noch regenfeuchten Moos zurückließ. Sie entschied, in andere Richtung zu flüchten – nach oben –, zog sich an einem Ast hoch und kletterteauf einen Baum. Raue Rinde schabte ihr die Haut auf, Geäst verfing sich im Haar, und kleine, schwarze Bröckelchen, die sich von den Zweigen schälten, rieselten ihr in die Augen, bis sie fast tränenblind war.
    Irgendwann, als die Äste lichter wurden, hielt sie inne, klammerte sich an den Stamm, und erst, als sie sich an die Höhe gewöhnt hatte, drehte sie sich um, um das Bild von oben zu erschauen, das sich da auf der Straße bot. Sicho lag neben dem leeren Fuhrwerk, das Gesicht im Boden vergraben, die Arme verrenkt.
    Um das Beben zu unterdrücken, klammerte sie sich noch fester an den Baum, versuchte sich einzureden, dass sie erleichtert sein müsste – war Sicho nicht der schlimmste Peiniger ihres Lebens gewesen? War es nicht gut, von ihm befreit zu sein?
    Stattdessen ging ihr dasselbe durch den Kopf wie damals, als sie vom Markt bei Saint Denis geflohen – dass sie auf sich allein gestellt kaum überleben und schon gar nicht in ihre Heimat zurückkehren konnte.
    So hockte sie stundenlang. Ihr zerrissenes Kleid blähte sich im Wind; die rissige Rinde bohrte sich immer tiefer und schmerzhafter in Zehenballen

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