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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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dieser weißen Wüste verirrt hätte?
    Sie war geneigt, das zu glauben, denn es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass sie gerne seine schändlichen Berührungen ertragen hätte – zum Lohn dafür, dass sie jemanden an der Seite hatte, der den Weg kannte und wusste, wo sie waren.
    Dass sie seinen Tod bedauerte, schwächte sie zuletzt am meisten. Sie sackte zusammen, und kaum dass sie kniete, drang noch mehr Feuchtigkeit als bisher durch ihre Kleidung. Dennoch war die Wohltat des Ausruhens größer als das Leiden durch die Kälte. So wie ihr Finger und Zehen abgestorben waren, so gab alsbald auch jedes andere Körperglied auf, mit Schmerzen und Pochen gegen das Unvermeidliche zu kämpfen.
    Ich gebe auf, Aidan, dachte sie, es tut mir leid, aber ich gebe auf...
    Sie schloss die Augen. Wenn sie schon ihren Schwur zu überleben nicht halten konnte, um dereinst nach ihm zu suchen, so wollte sie mit verbleibender Geisteskraft ein letztes Mal das Bild von seiner Gestalt heraufbeschwören. Ihre Lider flackerten, als sie es suchte – aber wenig fand. Da waren seine weibischen Hände, da war sein rötlich-blondes Haar. Nur dort, wo sein Gesicht sein sollte, ragte ein schwarzer Schlund. Er machte ihr Angst, doch anstatt den Schlund durch ein anderes Bild ersetzen zu können, musste sie zulassen, dass er größer und größer wurde. Er verschluckte Aidans blondes Haar – und zuletzt zog er sie selbst in seine unergründliche, lautlose Tiefe.
    Sie wusste später nicht, wie lange sie in der Schwärze gelegen hatte. Plötzlich erschienen darin zwei gelbe Punkte. Sie wurden größer und größer, wie Löcher, die immer weiter aufrissen undaus dem ruhigen, angenehmen Schwarz ein Flickwerk machten.
    Sie stöhnte auf, vermeinte, dass die Löcher Lichter wären, die blendeten. Doch als die Finsternis im Nebelgrau versickerte, wurde aus dem schrillen Gelb ein warmes, wie Honig glänzendes Braun.
    Sie erwachte aus dem Dämmerschlaf – und sah in gelbe Augen. Nie hatte sie solche bei Menschen erschaut, vor allem nicht das dichte Fell, das darum gewachsen stand. War’s eine Kreatur der Hölle, die ihre Seele holen wollte, sie in die Ewige Verdammnis zerren, weil sie mit Sicho Unzucht getrieben hatte?
    Sie wollte aufschreien, aber es trat kein Laut über ihre Lippen. Zu den Augen kam ein spitzes Maul. Eine raue Zunge fuhr heraus und leckte ihr Gesicht...
    Erschöpft schloss sie die Augen wieder. Ein Hund... es war nur ein Hund.
    Der Hund blieb bei ihr, er ging nicht fort. Mit der Zeit lernte er auch zu reden. Zumindest war da eine Stimme, die auf sie einsprach, in jenen Lauten, die sie zwar in den letzten Monaten gelernt hatte, die sie aber nicht länger verstand. Sie wollte sich dem Hund erklären – oder waren es gar viele Hunde, ein ganzes Rudel, das sich um sie zusammenrottete, das sich plötzlich zweibeinig aufrichtete, das sie hochhob?
    Wiewohl sie nicht länger im Schnee lag, waren ihre Glieder taub. Nur in ihrem Kopf raste es so heiß, als hielte man eine lodernde Fackel daran.
    Ich muss den Hunden etwas sagen, dachte sie, ich muss ihnen danken... und ich muss ihnen begreiflich machen, wer ich bin...
    Das fiepsende Geräusch wurde schwächer; stattdessen tönte nun das Wiehern von Pferden wie Hohngelächter in ihren Ohren. Die Stimmen hingegen mehrten sich, zwei oder drei redeten durcheinander. Kein einziges Wort konnte sie in vertrauteSprache überführen, ihr selbst fiel kein klarer Satz ein... nur der eine... von dem sie schon einmal gedacht hatte, er könnte ihr helfen.
    »Exaudi, Dominem, orationem meam...«
    Nun machte der Hund, der sie trug – oder war es ein groß gewachsener Mann? – ein Geräusch, dessen Sinn sie erfasste.
    »Schscht«, klang es. »Schscht...«
    Ihr Kopf kippte über fremde Schultern, als sie fortgetragen wurde. Der fiepsende Hund kläffte nun laut und ungestüm. Obgleich sich ihr Kopf anfühlte, als wäre er zwischen glühende Zangen gepresst, begriff sie, dass sie in Sicherheit war. Erneut versank sie in Ohnmacht.
    Diesmal war die Bewusstlosigkeit kein tiefer Schacht, sondern ein Tuch, das sie bedeckte. Es schirmte sie ab und wärmte sie, doch es erstickte nicht sämtliche Laute, und manchmal schimmerte die Welt hindurch, in die sie geraten war. Sie konnte sich später an einen kurzen Ritt auf einem Pferderücken erinnern, holprig und hart, dann an die Ankunft bei einem Gebäude, nicht unähnlich dem Bauernhaus, wo sie zuletzt geschlafen hatte, nur reinlicher und größer. Es roch nach

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