Die Regentin (German Edition)
und kalt war. Es brannte hier nirgendwo Feuer; einzig die Abdrücke auf dem welken Stroh, welches den hölzernen Boden bedeckte, zeugten davon, dass das Gebäude – nicht mehr als ein Langhaus, bestehend aus dem Saal und einem Schlafgemach – nicht unbewohnt war, sondernüber Nacht Gäste beherbergt hatte. Nun hörte sie endlich auch Schritte. Sie zuckte zusammen, als sie Männer kommen sah. Sie waren nicht so edel bekleidet wie der Fremde, sondern Krieger, die Spangenhelme mit Nackenschutz und Wangenklappen trugen und an ihren Hüften die Spatze – ein zweischneidiges Schwert mit kostbar gestalteten Griffen und Schlaufen versehen und damit an die breiten Ledergürtel gebunden. Zwei von ihnen besaßen sogar Wurfspeere.
Bathildis senkte die Augen, gewiss, dass sie dieser Horde preisgegeben wäre, nun, da sie den Herrn verärgert hatte, doch alle blickten durch sie hindurch, als wäre sie nur Luft.
Sie suchte sich im kargen Licht zu orientieren, verließ den schmucklosen Saal (weder hing Geschirr an den Wänden noch Teppiche oder Felle) und war bei jedem Schritt, den sie tat, unsicher, ob er nicht verboten wäre. Konnte sie tatsächlich gehen, wohin sie wollte? Sollte sie es tun? War sie jetzt nicht die Sklavin des Fremden?
Die erste vertraute Kreatur begegnete ihr im Hof – es war der Hund, in dessen braun-gelbe Augen sie geblickt hatte, als sie im Schnee zu sterben vermeinte, und der nun wedelnd auf sie zusprang. Fröstelnd versenkte sie die Hände in sein tiefes Fell, konnte sich aber nur kurz daran wärmen. Schon war das Tier durch einen schnellen Pfiff zurückbefohlen, immerhin nicht von einem der großen, furchteinflößenden Krieger, sondern von einem vielleicht zehnjährigen Knaben, der die Pferde zäumte.
Bathildis überwand ihre Furcht, trat zu ihm hin und wagte, ihn alles zu fragen, was ihr auf dem Herzen lag: »Wer... wer ist dein Herr? Wie heißt er? Wo sind wir hier?«
Der Knabe tat seine Arbeit gewissenhaft. Er blickte nicht hoch und zeigte zunächst auch nicht, ob er sie überhaupt verstanden hatte.
»Bitte... sprich zu mir... warum ist es in dem Haus so kalt, wenn doch der Herr so vornehm zu sein scheint?«
Diesmal ward ihr zumindest mit einem flüchtigen Lachengeantwortet. Dann blickte sich der Knabe um, prüfend, ob niemand ihm im Nacken saß und ihn für schlampige Arbeit strafen könnte, und beschloss endlich, ihr zu antworten. »Hier wohnt er doch nicht!«, spottete er. »’s ist doch nicht sein Heim! Als freilich der Schnee kam, haben wir uns in eines der Häuser, wo wir schlafen, wenn wir auf Jagd sind, zurückgezogen... noch heute kehren wir heim in seinen Palast.«
»Sein Palast?«, fragte Bathildis verwirrt. »Wo ist jener?«
Der Knabe ließ kurz das Zaumzeug los, um zuerst in die eine Richtung zu zeigen und dann in die andere. »Wenn man in diese Richtung reitet, so kommt man nach Noyon«, erklärte er, »und dieser Weg führt nach Saint Quentin. Und fast alles Land, das dazwischen liegt, gehört dem Herrn, vor allem die Gebiete um Saint-Wandrille und Jumièges.«
»Er muss ein mächtiger Mann sein«, murmelte Bathildis in der Hoffnung, sie könne dem Knaben noch mehr entlocken.
»Er ist der mächtigste im ganzen Frankenreich... bis auf den König«, entgegnete jener prompt. »Er dient ihm als höchster Beamter, den es gibt, und für gewöhnlich weilt er an dessen Seite.«
Wiewohl die Worte Klärung bringen sollten, fühlte sich Bathildis mehr und mehr verwirrt. Der König? Sein mächtigster Beamter?
»Doch den König quälen Leibschmerzen in diesen Tagen«, sprach der Knabe fort, »und deshalb ist Erchinoald allein zur Jagd geritten... verfluchter Schnee, er kam viel zu früh in diesem Jahr, und man konnte ihn am Vortag nicht riechen wie sonst.«
Er brach ab, das Pferd, das er nun sattelte, wieherte leise.
»Bitte«, sprach Bathildis auf ihn ein, »bitte, erzähl mir mehr!«
Der Knabe hatte keine Zeit dafür. Schon füllte sich der schneebedeckte Hof mit den Kriegern, und er tat nun, als würde er durch sie hindurchsehen wie die übrigen Männer, die kamen, um ihre Pferde zu besteigen.
Unter ihnen erkannte Bathildis den fremden Herrn, der sie gerettet hatte. Er hatte seinen Umhang ums Gesicht gezogen und gab Befehle, so leise, dass Bathildis sie nicht verstand. Sie starrte angestrengt in seine Richtung und bemerkte darum nicht, wie sich ihr hinterrücks einer der Männer näherte und ihr die Hände mit gleichem Hanfseil zusammenband, wie einst der Mönch Answin es
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