Die Regentin (German Edition)
Überraschung, sondern vor Überdruss, der in Erchinoalds Gesicht noch tiefere Schatten senkte.
Mit der Dämmerung war Nebel aufgezogen, sodass das Gebäude, das sie erreichten, sich hinter einem grauen Kleid versteckte und erst sichtbar wurde, als sie unmittelbar davorstanden. Es war das größte, das Bathildis jemals gesehen hatte, und als sie wundgescheuert vom Pferd stieg – oder eigentlich hinabgestoßen ward –, so konnte sie eine Weile nichts anderes, als mit offenem Mund zu glotzen, erkannte sie doch, dass sämtliche Grundfesten dieses Gebäudes aus Stein gebaut waren und anstelle des üblichen Palisadenzauns, der ein Herrschaftshaus schützte, eine mannshohe Mauer errichtet war.
Gewiss, auch das Kloster, wo sie aufgewachsen war, hatte Wände aus Stein gehabt – und war doch so klein gewesen, dass es vielfach in dieses riesige Gebäude gepasst hätte.
Erneut wandte sie sich an den Knaben.
»Was ist dies... für ein Haus?«
»’s ist ein Palatium, ein Palast... die Römer haben ihn gebaut, so wie in anderen großen Städten, und wenn der König durch die Lande reist, dann...«
Weiter kam er nicht. Während Bathildis sich – noch lauschend– bückte, um den tiefen Riss, der ihr dünnes Seidenkleidchen bis zur Hüfte aufschlitzte, notdürftig zusammenzuhalten, kam jenes gekrümmte Weiblein auf Erchinoald zugelaufen und quälte ihn mit der kreischenden Stimme.
»Wo bist du gewesen? Wohin bist du geritten? Wird’s neuerdings zur Gewohnheit, dass du gehst, ohne es mir anzukündigen?«
Erchinoald übergab seine Zügel einem Knecht. Nun, da vom Tor her Fackelschein in den Hof fiel, konnte man sehen, dass er seine Augen gesenkt hielt.
»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, Weib!«, erwiderte er – eher nörgelnd als streng.
»O nein!«, rief die Frau und lachte böse, bis ihr der Atem ausging. »Natürlich! Ich bin ja bloß deine Gattin! Dumm, dass ich glaubte, ich hätte ein Recht zu wissen, wo du bist! Doch wenn du es mir auch nicht zugestehst, so lass dir gesagt sein, dass Furseus’ Mönche wieder hier waren, um dich um eine edle Spende zu bitten. Nun... schade... da ich nicht wusste, was du davon halten würdest, musste ich sie wegschicken, ohne dass ich ihnen etwas geben konnte.«
Bei der Erwähnung von Furseus’ Namen war Erchinoald zusammengezuckt. Erstmals starrte er nicht an seiner Frau vorbei, sondern blickte direkt in ihr Gesicht, das so eckig und spitz war wie das eines Raubvogels.
»Du hast was getan, Leutsinda?«, zischte er mit kaum verhohlenem Hass.
»Ha!«, lachte sie schrill. »Nur weil Furseus der Pate unseres Sohnes war und im Verdacht der Heiligkeit steht, sind wir nicht verpflichtet, seine Gemeinschaft über den Tod hinaus zu fördern. Viel zu viel hast du ihnen bereits geschenkt. Versprich ihnen einen Finger, und sie greifen nach der ganzen Hand!«
Kurz deuchte Bathildis, Erchinoald würde auf sie losgehen und sie schlagen, doch dann wich er zurück, als wäre das allein schon zu viel der Ehre für sie.
»Das Kloster von Péronne, wo Furseus begraben liegt, soll das schönste weit und breit werden«, entgegnete er kühl. »Und nun verstell mir nicht länger den Weg, Weib, hör zu schwatzen auf und lass mich eintreten!«
Dass er dem Streit entfliehen wollte, stimmte sie wütender als seine Worte. Nicht einmal halb so groß wie er war sie, der Leib obendrein dürr und ausgemergelt, doch es reichte an Kräften, um sich auf ihn zu stürzen und sich an ihm festzukrallen.
»Du vernachlässigst mich, unseren Sohn, unsere Töchter! Irgendwann wirst du uns ohne Geld und Besitz zurücklassen, all unser Gut legst du in die Hände eines Mannes, von dem und dessen Gemeinschaft wir so gut wie nichts wissen.«
Erchinoald krümmte sich wie unter Schmerzen. »Meine süße Leutsinda«, höhnte er dennoch. »Halt den Mund, oder...«
»Herrgott, ich wünschte, ich wäre von deiner Gegenwart befreit!«
»Nun, das kannst du gerne haben. Wenn du nicht sofort dein Maul hältst, Leutsinda, und wenn dein Ärger nicht schwindet, wirst du bald frei sein – übrigens auch frei von den üppigen Gaben, die dir an meiner Seite zustehen, und vom hohen Rang, den du dank meiner bekleidest.«
Sie lachte wieder schrill, doch klang ihr Lachen nicht höhnisch wie seines, sondern freudlos und enttäuscht. »Oh, hätte ich doch nie jenen Tag der Hochzeit erlebt!«, stieß sie aus. Hernach wagte sie es nicht, ihm noch weiter zuzusetzen, sondern ließ von ihm ab und trat an ihm vorbei.
Unruhig
Weitere Kostenlose Bücher