Die Regentin (German Edition)
getan hatte. Sie war zu bestürzt, um sich zu wehren – und irgendwie, wenngleich es schwerfiel, dies zuzugeben, auch erleichtert: Man würde sie nicht allein hier zurücklassen. Sie war wieder gebunden und versklavt... aber nicht auf sich gestellt.
Der Fremde, von dem sie nun wusste, dass er den Namen Erchinoald trug und zum engsten Gefolge des fränkischen Königs gehörte, näherte sich ihr zu Pferde.
»Willst du nicht freundlich zu mir sein«, sprach er, erneut von oben herab, »so habe ich eben andere Verwendung für dich.«
X. Kapitel
In den nächsten Stunden hatte Bathildis kaum Zeit, all das zu überdenken, was ihr geschehen war. Die Mühsal der letzten Tage, die sie hinter sich gewähnt hatte, begann von Neuem: Kälte, Hunger, Anstrengung.
Sie war leichter zu ertragen, weil sie nicht alleine war, und schwerer, weil sie Sich bloßgestellt wähnte. Zwar scherte sich keiner der streng blickenden Männer um das leicht bekleidete Mädchen, das da am Hanfstrick hinter ihnen hergezogen wurde; trotzdem versuchte sie am Anfang noch, den Rücken gerade zu halten und nicht zu fallen. Erst mit der Zeit wurden ihre Glieder schwächer; sie rutschte auf dem löchrig gewordenen Schneekleid aus, schrammte sich die Knie blutig und wurde alsbald über dunklen Matsch, spitzes Steinwerk und aufgeweichte Zweige gezogen. Am schlimmsten war der Schmerz, der in die Handgelenke stach, dort, wo sich das Hanfseil zusammenzog.
Sie vergaß den Stolz, von dem sie ohnehin nicht wusste, wem er galt, und schrie so gequält auf, dass Erchinoald – mit missmutig-müdem Blick – Erbarmen zeigte.
Einer der Männer ward angehalten, sie über sein Pferd zu werfen, und wiewohl jener es so unsanft tat, als hätte er einen Getreidesack vor sich, gewann sie genügend Halt, um ruhig durchzuschnaufen und sich ihrer Lage bewusst zu werden.
Zum dritten Mal den Besitzer gewechselt. Vom Mönch zumKaufmann, vom Kaufmann zum Beamten des Königs. Welcher König? Unscharf erinnerte sie sich daran, dass jemand den Namen dessen ausgesprochen hatte, der hier im Land der Gallier und Franken herrschte, aber sie hatte ihn vergessen; vielleicht, so dachte sie dennoch hoffnungsfroh, war es einer, in dessen Umfeld sich genügend weise und barmherzige Männer befanden, die – anders als Erchinoald – Mitleid hatten mit einem Mädchen wie ihr.
Sie haderte mit sich – nicht sicher, ob es sie mehr reute, dass sie der Freundlichkeit eines offenbar sehr Mächtigen verlustig gegangen war, oder ob sie stolz darauf sein konnte, nicht auf schändliche, sittenlose Weise gehandelt zu haben.
Einmal unterbrachen die Männer ihren Ritt. Sie wagte es nicht, Erchinoalds Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber sie näherte sich dem Jüngsten unter ihnen, jenem Knaben, der ihr bislang am meisten verraten hatte.
»Bitte!«, bedrängte sie ihn. »Bitte sag mir mehr über deinen Herrn... erzähl mir von ihm... ganz gleich was...«
Der Knabe blickte sie ratlos an.
»Bitte...«, wiederholte sie. »Du sagtest, Erchinoald sei ein Beamter des Königs... welchen Ranges? Und was wird mit mir passieren?«
Der Knabe duckte sich unbehaglich. »Ich weiß nicht, was mit dir passiert«, antwortete er immerhin auf ihre zweite Frage. »Ich rate dir nur zu gehorchen... immer zu gehorchen. Erchinoald ist der höchste Beamte, den es hier gibt – er ist Major Domus. Und er ist sogar mit dem König verwandt, über Haldetrud, die Mutter des Dagobert, welcher wiederum der Vater des Königs war... Gehorche! Gehorche einfach!«
Er sagte die Worte mit großen Pausen, ohne dabei die Lippen auffällig zu bewegen, gleich so, als würde er nur ein wenig tiefer atmen, keinesfalls jedoch mit ihr sprechen.
Bathildis wusste weder, ob sie ihn richtig verstand, noch, was sie mit seinen Auskünften anfangen sollte. Es blieb ihr keineMöglichkeit, mehr zu erfahren, denn schon ward sie erneut an der Fessel gerissen und auf das Pferd gehoben.
Sie verkniff sich einen Aufschrei. Gehorchen, hämmerte es in ihrem Kopf, einfach gehorchen...
Das könnte so schwer nicht sein, dachte sie.
Sie hatte ja keine Ahnung, welche Heimsuchung ihr der heutige Tag noch bringen würde.
Die Heimsuchung war ein kleines, gekrümmtes Weiblein mit schleppendem Gang, gefurchtem Gesicht und einer Stimme, so krächzend wie die dunklen Vögel des Landes. Solch Gezeter hatte Bathildis noch nie in ihrem Leben gehört, und sie zuckte zusammen, wie auch sämtliche ihrer Begleiter – jene freilich nicht mit einem Ausdruck von
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