Die Regentin (German Edition)
in die Hand. »Nun mach schon, hinaus mit dir! Beeilst du dich nicht, setzt es Schläge! Musst ihn an einem Strick in den Brunnen lassen und wieder hochziehen!«
»Wieder hinaus in die Kälte?«, fragte Bathildis entsetzt.
Die andere maß sie höhnisch. »In diesem Kleidchen wohl besser nicht... ich geb dir einen Leinenkittel. Doch eins rate ich dir: Tu, was man dir sagt! Die Herrin wird Vergnügen daran finden, dir einen Fehler heimzuzahlen!«
Bathildis hatte nicht geahnt, dass ein Tag so lang werden konnte wie dieser. Es half, dass irgendwann einmal ihr Geist aufgab, gegen die Anstrengung zu protestieren. Er legte sich zur Ruhe, wohingegen der Leib von Aufgabe zu Aufgabe gehetzt wurde.
Lange nach Mitternacht war es endlich vorüber. Die anderen Frauen des Gesindes legten sich auf die Bänke in der Küche, welche aus Holz oder Stein waren, jedoch nicht mit Teppichen und Tüchern belegt. Sie schliefen in ihrer Kleidung, wie auch Bathildis in nichts anderes schlüpfen konnte, weil sie nur den einen sackförmigen Leinenkittel besaß, den die Magd ihr gegeben hatte. Jene war verschwunden, sodass sie sie nicht fragen konnte, wohin sie sich denn zur Ruhe betten sollte.
Schließlich tat sie es dort, wo am meisten Wärme zu erwarten war, neben einer Vertiefung im Boden, wo sich eine der Feuerstellen befand. Das Feuer prasselte noch glutrot, als sie sich hinlegte. Augenblicklich versank sie in Schlaf, der einem tiefen, schwarzen Tümpel glich, in dem sie kampflos unterging und ertrank.
Gerne wäre sie noch viel länger dort verblieben, doch irgendwann griffen Hände in die Schwärze, zerrten sie hervor, prügelten auf sie ein.
»Du hast das Feuer ausgehen lassen!«, schimpfte eine Unbekannte auf sie ein.
Bathildis schlug die verschwollenen Augen auf und wusste nicht, wo sie war. Der gestrige Tag kämpfte sich aus der Erinnerung empor, doch sie konnte nicht mehr damit anfangen als mit einem wirren Traum.
»Du hast das Feuer ausgehen lassen, du dummes Ding!«, wurde sie erneut gescholten. Ein Schlag traf sie ins Gesicht und weckte sie endgültig.
»Es tut mir leid«, stammelte sie. Die rote Glut war zu grauer Asche zerfallen, die – von einem Luftzug hochgewirbelt – ihr Haar bedeckte, ihren Kittel, ihr ganzes Gesicht.
Sie fühlte die graue, weiche Schicht, die sie bedeckte, als sie die Hand hob, um die schmerzende Wange zu reiben.
»Hat’s weh getan?«, hackte die andere auf sie ein. »Nun, wenn du nicht gleich aufstehst, wird es noch schlimmer kommen, glaub mir.«
Bathildis konnte sich später kaum mehr daran erinnern, welchen Arbeiten sie an den ersten Tagen nachging – es mussten so viele und so ermüdende gewesen sein, dass sie keinerlei Spuren im Gedächtnis hinterlassen hatten. Sie wusste nur mehr von einem Gefühl unerträglicher Hitze, was bedeuten musste, dass sie Stunden an den heißen Öfen zugebracht hatte, um dort zu rühren, zu backen, zu schneiden, zu hacken. Vielleicht war es auch ihre Aufgabe gewesen, Holz zu schleppen und nachzuheizen. In jedem Fall schlief sie auch weiterhin bei der Feuerstelle und war am nächsten Morgen stets von einer dünnen Schicht Asche bedeckt, die der erste Luftzug des Tages über sie rieseln ließ. Anfangs machte sie sich die Mühe, Kleidung und Haar auszuschütteln – später war sie es leid, weil sie sich doch nie ausreichend reinigen konnte. Obendrein war sie so gierig auf die Morgenmahlzeit – jener Gerstenbrei war, wiewohl nach Staub schmeckend, das einzig Nahrhafte, das länger als eine Stunde sättigte –, dass sie sich sogleich darauf stürzte.
Es war ungefähr eine Woche nach ihrer Ankunft, und sie kaute eben an den groben Körnern, als eine wohlbeleibte Frau mit kleinen Augen und dünnem Haar, das manche Stelle am Kopf unbedeckt ließ, auf sie zutrat und ihr eine neue Aufgabe zuteilte. Fortan sei sie für die Herstellung von Tuch zuständig.
Bathildis befiel Erleichterung bei der Vorstellung, nicht länger der Hitze des Herds standhalten zu müssen.
»O, allzu gerne!«, rief sie aus, nach Tagen erstmals die Stimme wieder gebrauchend. »Ich kann sehr gut weben und spinnen. Im Kloster, wo ich meine Kindheit verbracht habe, habe ich’s gelernt! Ich kann auch nähen und sticken, wenn du willst!«
Die Frau presste die Augen zusammen, sodass sie fast gänzlich in zwei Fleischwülsten versanken.
»Das ist gut zu wissen«, sagte sie ausdruckslos. »Aber zur Fertigung von Tuch gehört ganz andere Arbeit... Hier, wasch es aus.«
Während sie die letzten
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