Die Regentin (German Edition)
Worte sprach, schob sie Bathildis einen Scheffel hin, gefüllt mit einer stinkenden gelblichen Masse, die Bathildis nicht erkannte.
»O, Mädchen!«, stöhnte die Frau unwillig, »’s ist Schafschur vom letzten Sommer. Allerdings noch verklebt vom Dreck und von der Scheiße des Viehs. Runter zum Fluss mit dir!«
Bathildis bückte sich, jedoch nur zögerlich und der anderen nicht schnell genug.
»Hör mir gut zu, Mädchen!«, schalt die Frau. »Wer du bist und woher du kommst, geht mich nichts an. Mach deine Arbeit gut und ohne zu mucken, dann kommen wir miteinander gut zurecht. Aber wenn du dich für was Besseres hältst, dann setzt es Hiebe.«
Bathildis nickte rasch, hob den Scheffel – immerhin war er leicht zu tragen – und eilte nach draußen. Scharf schnitt ihr die Winterluft ins Gesicht. Wiewohl noch rot im Gesicht von der Hitze, wünschte sie sich zurück in die Küche, kaum dass sie die ersten mühseligen Schritte durch den Schnee gehastet war. Er lag noch höher als vor einigen Tagen und drang alsbald in das Stück Leder ein, das notdürftig um ihre Füße gebunden war. Noch lange bevor sie den Fluss auch nur erspähte, stöhnte sie bereits bei jedem Schritt vor Schmerzen; die Füße fühlten sich wie Stümpfe an, die Zehen wie abgefroren.
Anfangs war ihr der Scheffel mit der Schafschur noch leicht vorgekommen. Bei den letzten Schritten freilich schnitt das Holz in die rauen, erfrorenen Hände.
»O, verflucht!«, klagte sie. »Verflucht!«
Solange sie noch in Gesellschaft anderer Mägde und Unfreier war, hatte sie den Mund kaum aufbekommen. Nun spiesie lange Klagen in den frostigen Tag, das Los bedauernd, das in der Kälte noch schlimmer zu ertragen war als in der unmenschlichen Hitze.
Freilich erkannte sie alsbald, dass der Tag noch größere Unbill bereithielt. Sie erblickte den Fluss und hätte schreien mögen vor Ärger.
Gefroren war er! Umsonst hatte sie den Scheffel geschleppt und war durch den Schnee gestapft!
Stöhnend und ächzend machte sie sich auf den Rückweg. Obzwar an Händen und Füßen noch immer frierend, trieb ihr der Gang zurück zu den Wirtschaftshäusern einige Schweißtropfen auf die Stirne. Sie vermengten sich zu einem Bächlein, kaum dass sie wieder die warme Küche betrat.
»Ich kann die Schur nicht waschen«, sagte sie zur Kleinäugigen, als sie sie gefunden hatte. »Der Fluss ist gefroren!«
Diesmal kniff jene die Augen nicht zusammen, sondern riss sie weit auf. Schwerfällig ob des fülligen Leibs bückte sie sich nach einem Holzscheit. Augenblicke lange fürchtete Bathildis, die andere würde es ihr über den Rücken schleudern – wiewohl sie doch gewiss nicht schuld am Winter war.
Stattdessen wies jene sie mit einer raschen Kopfbewegung an, ihr zu folgen.
»Komm mit, Mädchen!«
Zum nunmehr dritten Mal unternahm Bathildis den mühseligen Weg. Sie spürte die Füße kaum mehr; die Brust tat ihr weh von der kalten Luft, die sie einatmete. Der Dickeren hingegen schien die Kälte wenig auszumachen. Festen Schrittes durchstapfte sie den Schnee, es scherte sie nicht, wenn sie darin einsank, und schließlich kniete sie sich an den Fluss.
Mit festen Hieben ließ sie das Holzscheit auf die Eisschicht krachen. Beim ersten Mal ward sie von Sprüngen durchzogen; beim zweiten Mal schon gluckerte farbloses Wasser aus dem kleinen Loch. Rasch schlug sie es größer.
»So Mädchen«, mahnte sie am Ende. »Das war die einzigeNarrheit, die du dir je erlauben durftest. Sag mir noch einmal solch dumme Worte wie vorhin, und du wirst mich kennen lernen. Der Fluss gefroren, ha! Wie denkst du, waschen wir den Winter über die Wäsche?«
Bathildis bückte sich widerwillig – schwerer noch, als den Fehler einzugestehen, fiel es ihr, auf dem eisigen Boden zu knien. Alsbald, so war sie gewiss, würde sie keinen einzigen Knochen mehr spüren, so erfroren wäre ihr Leib.
Zaghaft nahm sie von der Schafschur, in der sich kleine schwarze Brocken verfangen hatten. Sie wollte nicht darüber nachsinnen, woraus diese bestanden, tauchte sie in das Wasser und schwenkte sie sachte hin und her, darauf achtend, dass nur die Fingerspitzen mit dem unangenehmen Nass in Berührung kamen. Es zeigte keine Wirkung – die dunklen Bröckelchen blieben im gelben Gewebe haften.
»Mädchen, Mädchen!«, stöhnte die dicke Frau, packte Bathildis Hand, zog sie ins Eisloch und hielt sie so lange fest, bis Bathildis vor Schmerzen schrie. Nie hatte sie solches Weh erlebt! Die Kälte war ein hungriger Wolf, der
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