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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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betrachten. Obwohl sie sich zuvor nicht an das Gebot gehalten hatte, jeden aufdringlichen Blick zu vermeiden, versuchte sie zumindest jetzt, ihm nicht direkt in die Augen zu sehen. Erst nach einer Weile, da von ihm nichts anderes zu hören war als ein Schmatzen, warf sie ihm einen vorsichtigen Seitenblick zu – und fand ihn essend vor, lustlos und langsam wie vorhin. Hinter einem Berg von Schüsseln, aus denen es warm dampfte, hockte er wie hinter einer Mauer verborgen. Da er nichts sagte, blieb ihr nichts anderes übrig, als seine Miene zu ergründen.
    Er wirkte merkwürdig verschlossen und gleichgültig, als hätte nur der Zufall sie hierher geführt, wiewohl er es doch gewesen war, der ihr Kommen verlangt hatte. Nur am Flackern seines Blickes gewahrte sie, dass er verlegen war, fast so verwirrt wie sie, als bereite ihm das Mädchen nicht mindere Angst als er ihr.
    Und er ist doch der König!, ging ihr durch den Kopf.
    Vielleicht würde er warten, mit ihr zu reden, bis er zu Ende gegessen hatte. Alsbald freilich ging ihr auf, dass das nie geschehen würde, denn so langsam wie er aß, geschah’s gewiss nicht aus Hunger, der irgendwann gesättigt war, sondern aus jener unbestimmten Not, die sie in seinen Augen hatte sehen können, die sie sich nicht erklären konnte und die ihr doch den Hals eng schnürte.
    Sie ertrug es nicht länger.
    »Was wollt Ihr von mir, mein König?«, fragte sie, so zittrig und hoch, als würde sie die Worte seufzen. Als sie im Saal den hohen Herren getrotzt hatte, hatte sie sämtliches Unbehagen schlucken und ihrer Vernichtung ins Augen sehen können. Jetztfreilich fühlte sie eine Furcht, wie sie sie noch nie zuvor gekannt hatte – einen tiefen, unergründlichen Grusel.
    Der König sah auf, mit leerem Blick zuerst, dann füllte sich jener mit Traurigkeit.
    »Woher nimmst du den Mut, Mädchen, mit mir zu reden?«
    Er hätte nichts Widersinnigeres fragen können, wo ihr jener Mut doch eben abhandengekommen war.
    »Ich... ich weiß nicht«, stammelte sie. »Vielleicht kommt es, weil ich einen Wunsch habe... einen großen Wunsch. Ich will heimkehren.«
    Sie war selbst erstaunt über ihre Worte. Vor wenigen Augenblicken noch hatte sie sämtliches Trachten auf den Wunsch zu sterben zurechtgestutzt gewähnt. Doch wie sie da vor dem König stand, der nichts mehr fragte, sondern lediglich die Braue hob, winkte ihr der Tod nicht mehr einladend zu, sondern machte alter Hoffnung Platz.
    Sie räusperte sich. »Ich stamme nicht aus diesem Lande, welches Eurer Herrschaft unterliegt, sondern von der Insel, die Britannien heißt, und von dort aus jener Gegend, die man Northumbrien nennt. Friesen haben uns überfallen, mich entführt und meinen Vater erschlagen. Gott sei’s gedankt, dass meine Mutter es nicht mehr erleben musste.«
    Sie wusste kaum, was sie da sagte. Sie konnte auch nicht entscheiden, ob lediglich ihr tiefes Unbehagen ihre Worte heraufbeschwor oder ein Instinkt, den sie lange Zeit verschüttet wähnte und der doch dicht genug an der Oberfläche hockte, um ihr brauchbare Ratschläge zuraunen zu können.
    In jedem Falle schienen ihre Worte richtig gewählt zu sein. Das Schwere und Schlaffe in seiner Miene ward von einem Lächeln gemildert.
    »Meine Mutter ist auch tot«, sprach er nun. »Nanthild war ihr Name. Sie hat für mich regiert, als ich ein Kind und mein Vater tot war. Sie hat Entscheidungen getroffen. Gute Entscheidungen.«
    Beim Reden hatte er erstmals zu essen aufgehört; mit dem letzten Wort jedoch griff er gierig nach einer Rippe, stopfte sie in den Mund und begann hektisch, daran zu nagen. Vorsichtig trat Bathildis näher an ihn heran, so dicht, dass ihr nicht nur der Geruch der Speisen scharf in die Nase stieg, sondern auch die duftenden Essenzen, in denen sein Körper gebadet worden war. Verlegen zuckte er zusammen, als er ihre Nähe gewahrte. Er senkte rasch den Blick, als wäre sie die Hoheit, nicht er, und lächelte errötend.
    »Was... was wollt Ihr von mir?«, wiederholte Bathildis ihre erste Frage. Sie beherrschte ihre Stimme jetzt, vielleicht, weil sein Verhalten zu aberwitzig war, um sich weiterhin davor zu fürchten.
    Er duckte sich noch tiefer; sein Lächeln ging verloren. »Ich weiß es nicht«, murmelte er. »Ich weiß es wirklich nicht. Ich tue Dinge, die ich nicht verstehe. In meinem Kopf, hinter meiner Stirne sprechen so viele Stimmen auf mich ein, jeden Tag. Manchmal brüllen sie, manchmal flüstern sie. Tu dies!, sagt die eine Stimme. Tu das!, die andere.

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