Die Reise in die Dunkelheit
Eisplatte hatte sich gelöst und rutschte mitsamt dem Stalker als Passagier abwärts. Taran fiel auf die Knie und versuchte verzweifelt, sich an den Rippen des Dachs festzuhalten. Doch die Rutschpartie ging weiter.
Der Trepan brüllte auf und verfolgte sein flüchtendes Opfer mit einem gewaltigen Satz. Im selben Moment bekam der Söldner mit einer Hand ein abstehendes Stück Blech zu fassen. Er drehte sich auf den Rücken und riss den »Luchs« hoch. Durch das Visier sah er einen verschwommenen Schatten, der den halben Himmel verdeckte.
Jetzt ging alles ganz schnell. Die Realität zerfiel in eine Vielzahl von Fragmenten, die aus einzelnen Geräuschen und gestochen scharfen, statischen Bildern bestanden: der Knall des Schusses. Gebrüll. Das Gepolter des auf dem Dach aufschlagenden Monsters. Stechender Schmerz in den Rippen. Das Berstgeräusch der aufgeschlitzten schusssicheren Weste . A n gebogenen Krallen hängende Fetzen der Schutzeinlage. Durch die Luft tanzende Titanplatten. Die grässliche, in unmittelbarer Nähe vorbeihuschende Schnauze. Das Scharren der Krallen über das Dachblech. Noch ein Urschrei des Monsters.
Als der Söldner den Kopf hob, sah er, wie die fauchende Bestie das Dach hinunterschlitterte, das morsche Randgitter durchschlug und aus dem Sichtfeld verschwand. Der Trepan war in den Hof gestürzt. Jetzt trennte ihn ein mehrstöckiges Wohngebäude von den Kindern. Das gab dem Stalker die Möglichkeit, die beiden zu warnen . A uf allen vieren kletterte er das Dach wieder hinauf.
Kurz bevor er oben ankam, wurde ihm abermals eine Eisplatte zum Verhängnis. Er glitt aus und rutschte unaufhaltsam abwärts . A ls er über die Kante stürzte, konnte er sich im letzten Moment am Fallrohr der Dachrinne festhalten. Unter seinen Füßen gähnte der Abgrund. Das dünne Blech ächzte unter seinem Gewicht. Dann – ein bedrohliches Knacken. Das Rohr geriet in Bewegung und entfernte sich langsam von der Wand. Die einzelnen Segmente der Konstruktion waren durch den Eispanzer gut miteinander verschweißt, doch die Befestigungen rissen eine nach der anderen aus dem Mauerwerk. Jämmerlich knarzend kippte das Regenrohr zur Seite.
Unter ihm zog der Hinterhof durchs Bild: das Vordach des Hauseingangs, umgestürzte Bänke, die rostigen Skelette eines Kinderspielplatzes. Dann rauschten plötzlich die Zweige von Bäumen vorbei. Der Stalker ließ das Rohr los, breitete die Arme aus und versuchte, sich an irgendetwas festzuklammern.
Ein heftiger Aufprall nahm ihm die Luft. Ins Brustbein schoss stechender Schmerz. Der Söldner hatte sich um einen dicken Ast gewickelt, konnte sich jedoch nicht halten und rutschte ab. Zum Glück wurde der freie Fall gleich wieder gestoppt – Taran plumpste in ein Gebüsch und rollte auf den Boden.
Einige Sekunden lang wälzte er sich im Schnee und rang um Luft . A ls er endlich wieder atmen konnte, schaute er auf. Vor seinen Augen tanzten bunte Kreise, und er zitterte am ganzen Leib – das Adrenalin.
Wie durch einen Schleier nahm der Stalker eine Bewegung wahr. Wenige Meter von ihm entfernt saß aufgerichtet wie ein Affe der Trepan und leckte sein mit braunem Blut verschmiertes Vorderbein. Entweder war er unsanft gelandet oder die Schrotladung hatte ihn dort erwischt.
Als die Bestie den Feind bemerkte, heulte sie auf und preschte los – etwas hinkend, aber immer noch verdammt flink. Reflexartig tastete Taran nach seiner Flinte, doch sein Griff ging ins Leere. Der »Luchs« war ihm beim Sturz vom Dach abhandengekommen.
In dieser misslichen Lage tat der Söldner etwas Unerwartetes, doch er wusste instinktiv, dass es das Richtige war . A nstatt wegzulaufen, machte er einen Schritt auf das springende Raubtier zu und warf sich flach auf den Boden . A m Windhauch in seinem Nacken konnte er spüren, wie das Ungetüm knapp über ihn hinwegflog. Die scharfen Krallen streiften sogar seinen Stiefel. Doch das Monster wurde vom eigenen Schwung weitergezogen und schlitterte über den vereisten Teppich aus Laub. Der Stalker sprang auf die Beine und rannte weg. Er wusste, dass ihn nur wenige Sekunden von der nächsten, tödlichen Attacke der Bestie trennten.
Schon nach wenigen Metern entdeckte er im Schnee einen wohlvertrauten, länglichen Gegenstand. Schwarz auf weiß. Der »Luchs«.
Im Laufen hob der Söldner die Flinte auf, lud durch und sprintete zum Spielplatz. Rhythmisches Stampfen und kollernder Atem in seinem Rücken machten ihm Beine. Besser als jedes Doping. Mit einer Hechtrolle rettete
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