Die Reise ins Licht
beißendem Rauch erfüllt, die Wände schwarz von Ruß. Die metallenen Gerippe der Fahrzeuge knarrten und kühlten langsam ab. Von den gekrümmten, schwelenden Scheiten, die soeben noch Menschen gewesen waren, ging eine gleichmäßige Hitze aus.
Gleb wollte aufwachen. Verzweifelt versuchte er die Augen zu öffnen, sie zuzukneifen, nur um nicht mehr dieses Grauen zu sehen, doch vor seinen Augen stand immer noch das wahnsinnige Bild der Tragödie, die sich hier einst abgespielt hatte, und wollte nicht verschwinden. Panisch suchte der Junge nach dem Übergang in den anderen Tunnel, aber die Wand war auf einmal überall gleich, ohne jegliche Unterbrechung.
In der ohrenbetäubenden, dröhnenden Stille knarrte eine Tür. Gleb drehte sich um. Von einem Jeep in der Nähe blätterten schwarze Flocken von Schlacke ab. Die Tür öffnete sich leicht, ein kleiner Kinderfuß mit grellbunter Sandale trat auf den Boden. Ein schmuckes Kleidchen erschien, und aus den Rauchschwaden tauchte das kleine Mädchen von eben auf – sie hatte weder Brandwunden auf
ihrem Körper noch Ruß in ihrem rotwangigen Gesicht. In ihren Armen hielt sie ein rauchendes Kohlestück, das einst ihr Plüschbär gewesen war. Sie lief durch hie und da spärlich züngelnde Flammen und winkte Gleb zu sich. Der Junge folgte ihr wie in Trance durch den langen Tunnel. Unmittelbar am Ausgang blieben sie stehen. Das Mädchen hob ihr molliges Händchen und deutete lächelnd auf den Haufen einer zerschmolzenen, unförmigen menschlichen Leiche.
Befremdet starrte Gleb auf den verkohlten Leichnam, bis er ein mit Asche bedecktes Metallstück entdeckte. In den Strahlen der untergehenden Sonne blitzte das Relief eines zweiköpfigen Adlers auf. Sein Feuerzeug.
Das Mädchen sagte mit Tarans Stimme: »Wir sind schon zwanzig Jahre tot. In die Erde haben wir uns eingegraben und irren dort herum wie ruhelose Geister. Wir suchen nach irgendetwas … alles völlig umsonst. Wir sind tot. Es gibt uns nicht.«
»Nein, nein, das kann nicht sein …« Gleb fuhr zurück, schüttelte den Kopf, wollte es nicht sehen, nicht hören, nicht glauben. »Das kann nicht sein.«
Die Welt um ihn herum begann sich zu drehen wie ein rasendes Karussell, das Bild vor ihm verwischte, zerfloss. Als Gleb wieder zu sich kam, war es völlig dunkel. Er kramte nach seinem Feuerzeug, drehte an dem Rädchen. In dem Licht der kleinen Flamme erblickte er Natas beunruhigtes Gesicht neben sich.
»Was murmelst du da? Ein Alptraum?« Die junge Frau reckte sich schläfrig, machte die Taschenlampe an und hielt sie an ihre Uhr. »Meine Güte! Pennen die etwa alle noch? Es ist schon fast Mittag!«
Nata sprang auf und rüttelte die Kämpfer wach. Diese erhoben sich schwerfällig wie nach einem langen Saufgelage. In der kleinen Kammer herrschte eine betäubende, drückende Hitze. Gleb spürte ein dringendes Verlangen nach frischer Luft.
»Wahnsinn, brummt mir der Kopf!« Schaman setzte sich schwankend auf.
Gleb band sich mit steifen Fingern seine Schuhe.
»Es ist stickig geworden über Nacht.« Kondor stand schwerfällig auf. »Kein Durchzug, also auch keine frische Luft. Das reine Kohlendioxid. Hast du das mitgekriegt, Welpe? Packt eure Sachen, wir haben uns zu lange hier aufgehalten.«
Die Stalker kramten in ihrer Ausrüstung herum. In dem allgemeinen Wirrwarr achtete niemand auf die Tür. Jemand hatte das Transformatorgehäuse zur Seite geschoben.
»Wo ist Ksiwa?«
Die Strahlen ihrer Taschenlampen tasteten die Betonwände ab, leuchteten in dem Raum umher, der wie eine leere Schachtel wirkte.
»Oh, verdammt! Haben sich denn alle verschworen?!« Kondor riss sein Maschinengewehr von der Schulter und lief in den Tunnel hinaus.
Die Stalker eilten ihm nach. Während Gleb seinem Meister folgte, stieg eine ungute Vorahnung in ihm auf. Das Laufen ging nun schwerer, der Tunnel stieg gleichmäßig nach oben an. Durch den rechteckigen Ausgang am Ende fiel Tageslicht ein. Vor dem Hintergrund des grauen Himmels konnte man die Silhouette eines am Boden sitzendes Menschen erkennen. Der Trupp schlich sich vorsichtig an
die einsame Gestalt an. Ksiwa saß reglos an der Wand, den Kopf zum Ausgang gedreht. Seine Arme lagen schlaff auf den Knien.
»Aufstehen, Stalker«, sagte Kondors mit zitternder Stimme. »Aufstehen, hab ich gesagt!«
Gleb schaute benommen auf das blutbefleckte Messer auf dem Asphalt. Dann bemerkte er die tiefen Schnittwunden an den Handgelenken des Kämpfers und wandte sich ab.
»Steh auf!« Kondor bebte
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