Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
suchst.«
»Das ist kein Grund, sie einfach im Stich zu lassen. Ich muss auch herausfinden, was mit Thomas geschehen ist, und obschon ich ihm nicht über den Weg traue, muss ich auch versuchen, ihn zu befreien, wenn er noch lebt.«
»So kenne ich dich gar nicht, Martin. Du bist ja zu einem richtigen Abenteurer geworden. Früher hättest du dich in solchen Situationen in dein Bastelzimmer verkrochen.« Sie musterte ihn eingehend. »Du hast dich verändert«, stellte sie fest.
Aber auch Isabelle hatte sich verändert, dachte Martin, doch er äußerte sich nicht dazu. Es schien ihm, sie sei jünger geworden. Die feinen Fältchen um ihre Augen und die kleinen Unregelmäßigkeiten in ihrer Haut waren verschwunden. Auch ihre Art zu sprechen hatte sich geändert, fand er. Obwohl ihre Stimme noch ganz und gar dieselbe war.
Sie mussten mindestens zehn Minuten unterwegs gewesen sein, bis der Lift endlich anhielt und sich die Glastür öffnete. Der Korridor sah nicht so nobel aus wie weiter oben, aber auch hier reihte sich eine Wohnungstür an die andere. Doch die Nummern waren hier unten nur zweistellig.
Das untere Ende der Stadt, schoss es Martin durch den Kopf.
Isabelle öffnete die Tür mit der Nummer 33 mit einem Schlüssel, den sie aus ihrer Handtasche zog, und als sie in der Wohnung standen, schloss sie sie wieder ab. Es sah aus wie in einer Abstellkammer. Überall stapelten sich Kisten und Apparate. Viele davon waren vergammelt und offensichtlich defekt. Auch das Fenster in der Felswand war nicht so groß und schön wie das in der Wohnung, aus der sie gerade geflohen waren. Das Glas war stellenweise trüb und wies viele Kratzer auf. Doch der Blick nach draußen war auch hier beeindruckend. Die Wohnung lag direkt auf der Höhe der Baumgipfel. Vor ihnen lag ein Meer aus Dunkelgrün. Die mächtigen Tannen mussten mindestens hundert Meter hoch sein. Durch ein paar Lücken konnten sie weit unter sich den dunklen Waldboden erkennen.
»Hier bist du in Sicherheit«, erklärte Isabelle. »Ich muss dich leider für eine kurze Zeit verlassen, um einige Aufgaben zu erledigen.«
»Du willst schon wieder gehen?«
»Ja, aber ich werde bald wieder zurück sein. Verhalte dich ruhig in der Zwischenzeit und gehe unter keinen Umständen nach draußen.«
Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und verließ dann die Wohnung. Martin hörte, wie sie den Schlüssel umdrehte.
»Schon wieder gefangen«, murmelte er.
Seine Stiefmutter hatte ihn eingeschlossen. Einen Mann in seinem Alter! Das war doch nicht normal. Ruhelos schritt er vor dem Fenster im Kreis. So froh er war, dass sie wieder beieinander waren, so seltsam dünkten ihn die Umstände ihrer Begegnung. Doch nicht nur die äußeren Umstände waren befremdlich, auch Isabelle selbst war anders, als er sie in Erinnerung hatte. Es waren nur kleine Details, doch Martin war ein ausgezeichneter Beobachter mit einem guten Gedächtnis. Keine Frage, Isabelle hatte sich verändert. Ob das dem Einfluss Tiffanys zuzuschreiben war? Doch dann schweiften seine Gedanken ab, zu Eliane. Er durfte sie nicht im Stich lassen. Ob Isabelle damit einverstanden war oder nicht, er musste nach ihr suchen.
Martin schaute sich in der heruntergekommenen Wohnung um, die offensichtlich schon lange keine Bewohner mehr beherbergt hatte. Da nahm er aus den Augenwinkeln plötzlich eine Bewegung wahr. Als er sich umdrehte, traute er seinen Augen kaum: Draußen vor dem trüben Fenster schwebte ein Luftschiff. Diesen Schiffstyp hatte er schon gesehen, erinnerte er sich. Es war ein winzigkleines Luftschiff, bestehend aus einem einzigen zigarrenförmigen Körper mit gläsernen Kuppeln und warzenförmigen Auswüchsen. Es wurde von zwei Propellern angetrieben, die den gleichen Durchmesser hatten wie der Schiffskörper. Einer war am Heck angebracht, der andere am Bug. Das Luftschiff war keine fünf Meter lang und hätte keinem Menschen oder Mechanischen Platz geboten.
»Ein Schiff der Mikromechanischen«, stellte Martin überrascht fest, und hinter einer der Glaskuppeln, die so groß waren wie Salatschüsseln, glaubte er die Optiken eines Mikromechanischen zu erkennen. Was suchten die Mikromechanischen hier unten. Beobachteten oder verfolgten sie ihn gar?
Das Schiff flog knapp über den Tannenwipfeln eine Kurve und strebte dann von Victoria weg hinaus in den Graben. Dann stellte es sich schräg und stieg in einem Winkel von 45 Grad dem Himmel zu. Ein erstaunliches Manöver, fand Martin, und er fragte sich, mit
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