Die Reise nach Trulala
eine Vorahnung«, maulte er. In der Zelle konnte Korchagin die ganze Nacht nicht schlafen, Mascha schnarchte dagegen wie ein Baby.
Am nächsten Tag bekamen sie ihre Papiere zurück, das Visum war durchgestrichen. Trotz der bösen Vorahnung wurden die beiden nicht enthauptet, sie sollten nur am selben Tag noch Frankreich verlassen. Die Polizei brachte sie zum Busbahnhof und reservierte zwei Plätze in einem Bus, der Richtung Osten fuhr. Die Decke ließen die Polizisten Korchagin als Abschiedsgeschenk. Während der gesamten Fahrt schimpfte er vor sich hin. Er verfluchte alle: die Exilrussen, die blöden Touristen im Jardin du Luxembourg und die französische Polizei.
»Ich fand sie alle sehr nett«, meinte Mascha.
In Berlin stiegen sie aus. Andrej und ich halfen unseren Gästen, so gut wir konnten. Wir fütterten sie mit Wurst und Bier und kratzten das Geld für zwei Zugfahrkarten nach Moskau zusammen.
»Eins rate ich euch, Jungs«, sagte Korchagin zum Abschied am Bahnhof Lichtenberg, »fahrt nie nach Paris. Paris ist ein einziger großer Beschiss, nichts weiter.« Mascha blieb jedoch von Paris begeistert und wollte diese Stadt unbedingt noch einmal besuchen.
»Ich komme wieder«, sagte sie.
»Paris ist vielleicht schön für Frauen, aber für Männer ist es nichts«, resümierte Korchagin. Er hatte sich in Frankreich zu einem richtigen russischen Patrioten entwickelt.
Als unsere Freunde fort waren, überlegten Andrej und ich, ob wir unsere geplante Busreise wirklich noch machen sollten. Inzwischen hatte man uns so viel von Paris erzählt, dass es uns vorkam, als wären wir schon mehrmals dort gewesen.
»Lass uns lieber nach Amsterdam trampen«, meinte Andrej, »dort stehen nackte Frauen jeden Kalibers in den Schaufenstern, und überall hängen Weihnachtsgirlanden, das ganze Jahr über.«
»Ach was!«, sagte ich, »Amsterdam ist nur was für Omas und Opas! In vier, fünf Stunden bist du schon da. Wenn überhaupt, dann wollen wir richtig verreisen. Nach Australien zum Beispiel oder nach Japan. Eigentlich wollte ich immer schon einmal nach Amerika. Lass uns hier noch ein wenig Geld verdienen und dann nach Amerika fliegen. Sechshundert Mark kostet es hin und zurück von Berlin nach New York, das schaffen wir doch locker.«
»Amerika ist cool!«, bestätigte Andrej und holte sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank.
Statt nach Paris zu fahren, gingen wir ins Kino. »Pretty Woman« hatte gerade Premiere in den Berliner Kinos. Aus diesem Film konnten wir nur wenig Neues über Amerika erfahren: Auf der anderen Seite der Erde schien wie immer die Sonne, und Richard Gere langweilte sich fürchterlich. Er wusste nicht, was er mit seinem Geld anfangen sollte, und zerrte Julia Roberts aus dem gefährlichen Straßenmilieu in sein nobles Hotelzimmer. Das Mädchen badete im Schaum, der Mann schaute ihr zu. Nach zwei Stunden konnte er sich noch immer nicht entscheiden, ob er zu ihr in die Wanne springen oder lieber doch im Trockenen bleiben sollte.
Andrej und ich konnten uns mit den Helden der Leinwand nicht identifizieren. Wir hatten zurzeit ganz andere Probleme. In Berlin lag überall Schnee. Es wurde immer früher dunkel. Das Leben im Ausländerheim ging uns langsam auf den Geist. Unsere Nachbarn begaben sich täglich auf Wohnungssuche. Sie lasen Zeitungsannoncen, schlossen Freundschaften mit irgendwelchen russischen Immobilienmaklern und versuchten, korrupte Sachbearbeiter in den Wohnungsbaugesellschaften zu bestechen, um irgendwo in Charlottenburg oder Schöneberg eine gute und preiswerte Sozialwohnung zu bekommen.
Wir fuhren jeden Tag mit der S-Bahn zum Prenzlauer Berg und schauten uns dort leer stehende Häuser an, in der Hoffnung, eine passable Wohnung mit Dach und Fußboden zu finden. Das war nicht leicht: Die meisten Häuser, die wir durchstöberten, waren bereits von gierigen Hausbesetzern erobert. Sie kamen fast alle aus Westdeutschland, um hier ein neues freies Leben, fern der Eltern und des Kapitalismus, zu beginnen. Doch kaum waren sie eingezogen, verwandelten sich selbst Hardcore- Anarchos in schlimme Imperialisten. Sie wollten nicht teilen. Mit Sprüchen wie »Mein Hund braucht auch ein Zimmer« oder »Die Wohnung gegenüber ist für meine Freundin« komplimentierten uns die Hausbesetzer wieder hinaus.
Verzweifelt wollten wir schon in ein halb zerstörtes Hinterhofgebäude in der Kastanienallee einziehen. Dort standen zwei Wohnungen leer, beide ohne Strom und mit eingeschlagenen Fensterscheiben. Die eine
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