Die Reise Zur Stadt Der Toten
würde, irrte sich aber. Am zweiten Tag bogen sie leicht nach Westen ab, und am Abend konnten sie in der Ferne ein Donnern wahrnehmen.
Etienne erwartete einen weiteren Wasserfall; vielleicht einen, der die vollen fünftausend Meter in den Fluß in der Tiefe abstürzte. Aber Tyl behauptete, sie nicht zu einem Wasserfall, sondern zum Topapasirut zu führen.
Das muß der Großvater aller Wasserfälle sein, sagte sich Etienne, den Tyls beständige gegenteilige Beteuerungen immer noch nicht überzeugt hatten. Am vierten Tag war der Donner so laut geworden, daß sie sich nur noch mit Zeichen verständigen konnten.
Die Redowls konnten immerhin auf ihren Handgelenk-Computern Nachrichten schreiben, aber die Tsla verfügten nicht über derartige Wundergeräte und mußten ihre Absichten durch Gesten übermitteln. Um sie herum begann es feucht zu werden, und die Felsen waren glitschig und gefährlich. Aber obwohl sie durch beständigen Dunst dahinzogen, blieb der Himmel über ihnen klar.
Etienne suchte vergebens nach irgendwelchen Spuren des erwarteten Wasserfalls. Als sie schließlich den Rand des Abgrundes erreichten, war plötzlich alles klar.
Es regnete nach oben. In den engen Schlund hineingezwungen, vollführte die ganze Masse des Skar plötzlich eine scharfe Biegung von Süden nach Wesen. Demzufolge donnerte der schnell dahinschießende Fluß gegen die nördliche Klippenwand, die den Fuß des Berges Aracunga bildete, fünftausend Meter unter ihnen.
Das erzeugte eine Gischtsäule, die sich hoch in die Lüfte erhob und die Beobachter durchnäßte, die sich an einen Granitüberhang klammerten. Das massive Felsgestein erzitterte unter dem Aufprall des Flusses. Tyl versuchte sich mit Gesten verständlich zu machen; aber der atemberaubende Anblick, der sich ihnen bot, machte jede Beschreibung unmöglich.
Etienne wußte, daß dies der Topapasirut war, der Geburtsort aller Flußteufel. Er wußte, daß Tyl mehr als recht gehabt hatte, als er darauf bestanden hatte, daß kein Boot diese Stelle passieren konnte. Das Boot konnte sich auf seinen Repellern nicht hoch genug erheben, um den Mahlstiom zu überwinden.
Auf der anderen Seite des Canyons, aus der gegenüberliegenden Seite des Abgrundes aufragend, war ein Gipfel zu erkennen, der selbst den Aracunga winzig erscheinen ließ.
»Der Prompaj!« schrie Tyl Etienne ins Ohr. Er nahm eine weitere Messung vor.
»Vierzehntausendzweihundert Meter«, teilte er Lyra per Computer mit. »Ein unglaublicher Berg. Ich denke, die zwei Gipfel waren sich einmal näher als jetzt. Siehst du, wie der Fluß scharf nach Westen abbiegt, ehe er sich wieder nach Süden wendet? Tslamaina ist jetzt in seismischer Hinsicht stabil, aber vor ein paar Jahrhunderten muß es in diesem Teil der Welt ein unvorstellbares Erdbeben gegeben haben. Siehst du da die Spuren des Felsrutsches?« Er deutete auf eine Schichtung in der Canyonwand.
»Dieser Teil der Oberfläche ist nach Osten abgerutscht. Südlich von hier bewegte sich das Land nach Westen. Die Folge war, daß das nördliche Drittel des Skar ein paar Kilometer nach Osten verschoben wurde. Ich bin froh, daß ich damals nicht hier war.«
Lyra tippte ihre Antwort. »Ich bin eigentlich nicht einmal froh, jetzt hier zu sein. Gehen wir. Mir ist kalt, und ich bin durch und durch naß.«
Sie verweilten noch ein paar Augenblicke, um ihm die Möglichkeit zu geben, ein paar Bilder aufzunehmen und einige letzte Messungen durchzuführen. Dann gingen sie den Weg zurück, den sie gekommen waren, und überließen es den Wolken und den Bergen, den Topapasirut, seinen Donner und das majestätische Massiv des Prompaj wieder zu verschlingen.
In jener Nacht kampierten sie in einer kleinen Höhle und trockneten sich und ihre Kleider an einem großen Feuer. Etienne sah interessiert zu, wie die Träger sich gegenseitig den Pelz säuberten.
Die Redowls hatten wenig zu sagen. Es hatte nicht viel Sinn, das Offensichtliche zu beklagen. Ihre Expedition war zu Ende. Sie waren auf eine Wand gestoßen, eine Wand aus Wasser.
Als die Träger fertig waren und sich wieder angezogen hatten, sammelten sie sich um das wärmende Feuer. Tyl sprach, während seine Begleiter aßen.
»Was werdet ihr jetzt tun? Besitzt das Geisterboot irgendeine magische Kraft, die wir noch nicht gesehen haben und die es ihm ermöglicht, den Topapasirut zu passieren?«
»Nein«, antwortete Etienne niedergeschlagen. »Wir haben andere Maschinen, die durch die Luft fliegen können und jeden Vogel
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