Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
finden.« Seine Augen verengten sich für einen kurzen Moment.
Rebekka hustete. Sie glaubte, sich verhört zu haben. »Verzeiht, mein König, die trockene Luft«, murmelte sie rasch. Sie sollte Amalie Belcredi finden? Der König suchte nach ihr? Warum um alles in der Welt? Rebekka schluckte. Wie gut, dass Engelbert sie gewarnt hatte!
»Wer ist diese Frau?«, fragte sie mit argloser Miene. »Und warum, wenn Ihr mir diese Frage gestattet, ist sie so wichtig für Euch?«
Von der Hardenburg entspannte sich sichtlich und schwieg.
Karl räusperte sich. »Wir verlassen uns auf Eure Verschwiegenheit, Amalie Severin«, sagte er. »Amalie Belcredi ist die letzte ›Hüterin der Christenheit‹. In ihrem Besitz befindet sich der Schlüssel zum Aufbewahrungsort einer Reliquie von unschätzbarem Wert. Und von unvergleichlicher Macht. Sollte diese Reliquie in falsche Hände geraten, wäre dies eine Gefahr für die gesamte Christenheit.« Rebekka hatte Karl noch nie so ernst erlebt und noch nie so überzeugend. In seinen Augen loderte das Feuer des Glaubens – ein verzehrendes Feuer.
Plötzlich wurde ihr bewusst, was der König gesagt hatte: Die Jüdin Rebekka bat Menachem war die letzte ›Hüterin der Christenheit‹? Am liebsten hätte sie herausgeschrien: »Um ein Haar hättet Ihr mich auch umbringen lassen, so wie meine Eltern, Freunde und Nachbarn! Was wäre dann mit Eurer Christenheit geschehen? Seht Ihr, wie blind Ihr seid? Gott hat eine Jüdin zur ›Hüterin der Christenheit‹ gemacht! Was sagt Ihr jetzt?«
»Versteht Ihr, wie wichtig Euer Auftrag ist?«, fragte Karl, als Rebekka nichts erwiderte. »Ihr müsst Amalie Belcredi finden – und die Reliquie. Wenn nicht, droht uns allen größtes Unheil.«
»Ich verstehe«, antwortete Rebekka mechanisch, doch in Wahrheit schwirrte ihr der Kopf. Sie besaß keinen Schlüssel zu irgendeiner Reliquie. Entweder war sie doch nicht Amalie Belcredi, oder der König täuschte sich und vermutete den Schlüssel in den falschen Händen.
Sie hob den Kopf und begegnete Engelberts Blick. Er nickte ihr kaum merklich zu. Erst jetzt wurde ihr klar, was der neue Auftrag bedeutete: Sie durfte auf Geheiß des Königs nach ihren Eltern suchen.
D IE GEHEIME B IBLIOTHEK
D EZEMBER 1349 BIS M ÄRZ 1350/T EVET BIS N ISAN 5110
Rebekka hatte auf dem einzigen Stuhl Platz genommen, der in Engelberts Kammer stand. Sie sah bleich aus. Vermutlich hatte sie in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan.
»Der König wäre nicht erfreut, wenn er erführe, dass Ihr wisst, wo Amalie Belcredi sich aufhält«, sagte sie scheinbar ohne jede Regung.
Engelbert nickte. »Er wäre auch nicht begeistert, wenn er wüsste, dass Ihr ebenfalls davon Kenntnis habt. Ich denke, es steht unentschieden. Wir riskieren beide, die Gunst des Königs zu verlieren. Ihr sogar noch ein wenig mehr. Denn ich bin mir nicht sicher, wer Ihr wirklich seid.«
Rebekka reckte das Kinn nach vorn und legte eine Hand auf die Brust. »Ich bin Rebekka bat Menachem, Tochter jüdischer Eltern. Und ich bin Amalie Belcredi, Tochter christlicher Eltern, Hüterin der Christenheit.« Rebekka seufzte tief. »Vielleicht bin ich der letzte Spross zweier Familien, von beiden mit einem schweren Erbe bedacht.«
»Es tut mir aufrichtig leid, Rebekka. Gottes Wege sind oft verschlungen und unverständlich. Ihr wisst, dass ich nicht gutheiße, was in Rothenburg geschehen ist.«
Ihre Miene blieb unergründlich. Engelbert wusste, dass sie ihre Trauer mit aller Macht in sich vergrub. Aber eines Tages würde der Schmerz hervorbrechen, und je länger sie wartete, desto heftiger würde dieser Ausbruch werden. Dann musste er ihr beistehen, das war er ihr schuldig.
»Und dennoch seid Ihr des Königs ergebener Diener«, gab Rebekka kalt zurück.
Engelbert überlegte einen Moment. Er musste seine Worte sorgsam wählen. »Zum einen ist er mein König, ganz richtig. So wie Ihr Euren Eltern und Eurem Gott Gehorsam schuldet, so schulde ich meinem Gott und meinem König Gehorsam und Treue. Zum anderen könnte es uns schlimmer treffen.«
»Was könnte schlimmer sein als ein Herrscher, der seine Untertanen des Goldes wegen den Schlächtern ausliefert, sogar gegen seine eigene Überzeugung?« Rebekka kreuzte die Arme vor der Brust.
»Ein König, der von Abt Fulbach gelenkt wird oder noch schlimmer, nicht nur gelenkt wird, sondern ebenso denkt wie dieser. Fulbach, diese Ausgeburt der Hölle, würde nicht einen Juden am Leben lassen, weder in Prag noch sonst wo. Aus
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