Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Rechnungslegung verlässt mich?«
Johann schnitt eine Grimasse.
»Schon besser«, sagte di Falcone. »Ihr könnt nicht abreisen, wenn Ihr schlecht gelaunt seid wie der Papst, wenn er sauren Messwein trinken muss! Und vor allem könnt Ihr nicht abreisen, bevor ich Euch etwas gegeben habe. Kommt mit.«
Sie stiegen hinauf in di Falcones Kammer. Oft hatte Johann hier gesessen und über Bilanzen gegrübelt, hatte Dutzende Male alles neu berechnet, doch immer wieder war ihm ein Fehler unterlaufen, denn es waren hunderte Posten, die er miteinander in Beziehung bringen musste. Jetzt konnte er verstehen, warum so viele Rothenburger Händler die neue Rechnungslegung ablehnten. Die Methode war gut, aber schwer zu erlernen. Und es nutzte nichts, wenn nur Einzelne sie anwendeten. Denn dadurch wurde alles noch komplizierter und undurchsichtiger. Der König musste es verordnen, dann erst konnte es sich überall durchsetzen, und dann erst machte es Sinn.
Di Falcone kramte in einer seiner Truhen, die überquollen von Pergamentrollen und Büchern. »Ha!«, rief er. »Hier ist es.« Er zog ein kleines Buch aus der Truhe. »Ich habe es erst letzte Woche durchgesehen und noch ein paar Einträge hinzugefügt.« Er reichte es Johann wie ein kostbares Schwert, auf ausgestreckten Händen.
Johann nahm das Buch, verneigte sich.
»Schaut es Euch an.«
Der Einband war aus feinem Lammleder gearbeitet, die Schließe aus ziseliertem Eisen. Johann blätterte die erste Seite auf. »Für meinen gelehrigen und honorigen Schüler Johann von Wallhausen.«
Johann blickte auf. Di Falcone grinste breit über das ganze Gesicht. »Die meisten Menschen sind einfältig.« Er hob einen Zeigefinger, so wie er es immer tat, wenn er etwas Wichtiges sagen wollte. »Nicht dumm. Das meine ich nicht. Sie verschließen sich dem Neuen, sie wollen immer nur das sehen, was für sie sicher und bequem ist. Ihr seid nicht so. Ihr wollt hinter die Dinge schauen, Ihr wollt Wissen erlangen, Ihr seid Euch nicht zu schade zu fragen, ob Ihr vielleicht irrt, und wenn, dann ändert Ihr bereitwillig Euer Weltbild.« Er zeigte auf das Buch. »Eine kleine Zusammenfassung unserer Lektionen. Und eine Liste meiner Kontakte in Italien und Frankreich. Zeigt das Buch vor, und man wird Euch willkommen heißen.«
Johann wusste nicht, was er sagen sollte. »Ja, danke, aber …«, stotterte er, ließ das Buch sinken, und ihm fiel nichts Besseres ein, als di Falcone zu umarmen.
»Schon gut, Johann, schon gut«, sagte di Falcone und machte sich frei.
Johann spürte die Röte in sein Gesicht steigen. »So ein wunderbares Geschenk! Wie kann ich …«
Di Falcone winkte ab. »Das habt Ihr bereits.« Di Falcone füllte zwei Becher mit Bier. »Setzt Euch.«
Johann nahm auf einem Scherenstuhl Platz, sie stießen an.
»Als Dietz mir von Euch erzählte, da war ich wenig begeistert von der Idee, irgendeinen dahergelaufenen Händler aus der Provinz in die Geheimnisse der genuesischen Buchhaltung einzuweihen. Er hat mir Geld geboten, aber es gibt auch in diesen Zeiten Dinge, die man nicht kaufen kann.«
Johann trank einen Schluck. »Ihr habt mich geprüft.«
»Aber ja. Und für gut befunden. Ihr habt mich nicht enttäuscht.«
»Und wie habe ich Euch geholfen?«
»Euer scharfer Verstand hat mir Lücken in meiner Lehre aufgezeigt. Manchmal, wenn Ihr fast verzweifelt seid an einer Aufgabe, lag es nicht nur daran, dass Ihr Fehler gemacht habt.«
»Ich hätte diese Aufgaben gar nicht lösen können?«
Di Falcone grinste. »Doch. Indem Ihr den Fehler in meiner Lehre gefunden hättet. Das habt Ihr nicht, aber Ihr habt mir den Weg gewiesen. Euer Verstand ist rein wie ein Gebirgsbach. Er ist nicht verstellt von Vorurteilen und Eitelkeit. Die meisten meiner Studenten sind verwöhnte adlige Jünglinge, die mehr aus Langeweile denn aus Wissbegier ihr Studium aufgenommen haben. Manche werden auch dazu gezwungen. Ich hoffe, dass wir bald Aufnahmeprüfungen einführen dürfen, ich habe bereits mit dem König darüber gesprochen.«
»Ihr verkehrt bei Hofe?« Johann konnte es kaum glauben.
»Aber ja! Der König will wissen, wie seine Universität vorankommt. Die Theologie liegt ihm besonders am Herzen, kein Zweifel, aber deshalb vernachlässigt er nicht die übrigen Wissenschaften.«
Johann erhob sich. »Ich danke Euch von Herzen für Euer Vertrauen. Ihr habt mich nicht nur das Rechnungswesen gelehrt, sondern auch, dass der Wert eines Menschen nichts mit seiner Abstammung zu tun hat.«
Di Falcone erhob
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