Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
habt Ihr das Dokument?«
»Ein Vertrauter des Bischofs von Würzburg hat es in einer seiner Truhen gefunden, und er begriff sofort, dass es von höchster Wichtigkeit ist. Der Bischof persönlich hat es mir übergeben.«
Karl zog die Stirn in Falten. »Wer war dieser Vertraute, und warum weiß der Bischof nicht, was in seiner Truhe liegt?«
Der Bote senkte den Kopf. »Keine Ahnung, Herr. Ich bin sofort zu Euch geeilt. Es blieb keine Zeit, weitere Erkundigungen einzuziehen.«
»Ihr müsst es herausfinden. Kehrt nach Würzburg zurück.«
»Sehr wohl, Herr.« Der Bote verbeugte sich, wandte sich um und ging mit großen Schritten davon.
Karl nahm ein Bündel Binsen aus einem der Körbe, die überall im Palast aufgestellt waren, und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Die Belcredis stammten aus altem böhmischen Adel. Die Familie war nie in den Vordergrund getreten und nie Teil des Hofes gewesen. Karl kannte sie nicht, denn sie waren aus Böhmen verschwunden, als Karl noch in Frankreich geweilt und am französischen Hof eine standesgemäße Erziehung genossen hatte. Man hatte gemunkelt, die Belcredis hätten mit Ketzern zu tun gehabt, aber diese Gerüchte waren entkräftet und die Verleumder zur Verantwortung gezogen worden. Im Gegenteil. Die Belcredis waren strenge, gottgefällige Christen, die für manchen Geschmack sogar zu viel Eifer an den Tag gelegt hatten. Gehörten sie zu den »Hütern der Christenheit«? Wenn das Dokument echt war, war es vielleicht das Vermächtnis der Belcredis, das Vermächtnis der letzten beiden »Hüter der Christenheit«, die ihre Aufgabe an ihre Tochter übertragen hatten.
Das Bündel brach. Genauso gut konnte das Schreiben eine Fälschung sein, eine der vielen Fallen, in die Karl tappen sollte. Glaubte er an die Echtheit, musste er sofort nach Pasovary aufbrechen, um dort eine Spur von Amalie Belcredi oder irgendeinen anderen Hinweis zu finden. Er konnte keinen Vertreter schicken, dazu war die Angelegenheit zu wichtig. Nicht umsonst hießen die Männer und Frauen »Hüter der Christenheit«. Was immer die Hüter versteckten, wenn es ans Licht gezerrt wurde, würde es die Pfeiler der Kirche einreißen.
Sein Vater, der für ihn immer ein Fremder geblieben war, hatte ihn einen Tag vor seinem Tod auf dem Schlachtfeld von Crécy eingeweiht und ihn gemahnt, immer auf der Hut zu sein, Augen und Ohren offen zu halten, um im rechten Moment das Richtige zu tun. Was das aber sei, das hatte er ihm nicht sagen können. Nur an diesem einen Tag war er seinem Vater für einen kurzen Moment nahe gewesen. Der blinde alte Mann hatte Karls Hand genommen und ihm ins Ohr geflüstert: »Mein Sohn! Wir waren wohl nie einer Meinung, aber in dieser einen großen Sache müssen wir einander vertrauen. Versprich mir, dass du die ›Hüter der Christenheit‹ mit allem beschützen wirst, was du hast, und wenn es dein eigenes Leben ist! Schwöre es!«
Karl spürte noch immer die Hitze dieses Augenblicks, die Größe des Schwurs. »Ich schwöre es bei Gott!«, hatte Karl ohne Zögern geantwortet.
Und der alte Mann hatte seine Wange getätschelt und gesagt: »Du bist zwar eine Taube inmitten von Falken und Adlern, aber du bist mir immer ein treuer Sohn gewesen. Gott schütze dich!«
Und jetzt, viele Jahre später, erkannte Karl, dass sein Vater geahnt hatte, dass er das Schlachtfeld nicht lebend verlassen würde. War das seine Art gewesen, seinen Thron freizumachen für seinen Sohn? War es nur der Tod gewesen, der Johann den Blinden dazu hatte bringen können, auf seine Macht zu verzichten? Er würde es nie erfahren, und er hatte nie herausgefunden, wer die »Hüter der Christenheit« im Einzelnen waren. Nur Gerüchte gab es und einige wenige Hinweise. Jedenfalls bis heute.
Karl öffnete das Fenster und ließ die kalte Novemberluft in seine Schreibstube. Er stützte sich auf die Fensterbank und beobachtete die Menschen, die im Burghof hin und her hetzten, um der Kälte zu entgehen, und sich eilig, aber ohne Angst verbeugten, wenn sie ihn sahen.
Er hob den Blick zum Himmel. »Lieber Gott!«, begann Karl. »Dein Diener bittet Dich um die Gnade eines Zeichens. Bitte erhöre mich.«
Langsam kroch ihm die Kälte durch sein Wams in die Glieder. Doch Gott schwieg. Wie so oft. Er wusste, was Gottes Schweigen bedeutete: Entscheide selbst!
***
Rebekka spürte Feuchtigkeit auf ihrer Stirn, dann einen leichten Schmerz. Jemand tupfte Flüssigkeit auf ihre Haut. Sie öffnete die Augen. Aus einem runden Gesicht lachten ihr
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