Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)
konnten.
»Ich auch«, antwortete er nur lächelnd, nahm ihre Hände und küsste sie so zärtlich, wie er die Hände des Kindes geküsst hätte, das sich in ihr verbarg. Dann nahm er sie an der Hand wie eine Spielkameradin, und wie Kinder rannten sie das letzte Stück Wegs, schreiend und komische Verse singend, Beniamino mit seinem Hinkebein, das er hinter sich herzog, und Marcella mit ihrem Rock, der wie eine Fahne flatterte, und beide machten sich mit Worten Luft, die keinen anderen Sinn hatten als den, die Angst freizulassen, die sie bis jetzt begleitet hatte, damit sie die Wiese hinabrollte, bis zum Haus und darüber hinaus und auf der Straße durch die Schlucht in Richtung Stadt verschwand, von wo man Marzis Lastwagen heranfahren sah.
Die beiden kamen im Pianoro an, erfüllt von einer Fröhlichkeit, die sich unterwegs an sie geheftet hatte wie Staub, aufgewirbelt vom Wind, und so verteilten sie diese Fröhlichkeit auf die anderen. Alle lachten, machten Späße und spielten Fangen, angesteckt von einer Unbeschwertheit, die das Dunkel vergaß und aus den Gedanken verscheuchte, was gleich hinter dem Hügel geschah, als wäre der Ort, wo sie lebten, eine unantastbare Oase, ein Dorf in einer anderen Welt.
Ein Rest dieser Fröhlichkeit blieb an ihnen haften, als sie sich zum Abendessen, das Elemira und Mara zubereitet hatten, an den Tisch setzten. Die allgemeine Ausgelassenheit regte Mita dazu an, ihre sinnlosen Worte aneinanderzureihen, Worte, so verrückt wie sie selbst, aber auch Schlafliedchen und Kinderreime, die alle bei guter Laune hielten.
Von dieser Stimmung mitgerissen, nahm Fosco seinen Mut zusammen, kam aus seinem Schneckenhaus hervor und stand auf, um ängstlich und schüchtern Aufmerksamkeit zu erbitten.
»Dottore«, sagte er leise, zu Beniamino gewandt, »ich habe eine Geschichte, Geschichte. Zu erzählen. Eine Geschichte, denn eine Geschichte muss erzählt werden, sonst ist sie eingeschlossen wie wir, die Verrückten, und das mag ich nicht.«
Beniamino ermutigte Fosco, bat die Truppe, still zu sein, und forderte ihn dann abermals auf: »Dann leg los, der Pianoro hat schließlich keine Mauern, und Geschichten können wir hier zwischen den Tellern und Tischen hindurch und dann über die Wiesen laufen lassen.«
Fosco blickte in die Runde und krampfte, eingeschüchtert durch die Zurufe der Anwesenden, verlegen die Hände ineinander, bis er, noch einmal von Beniamino ermuntert, zu erzählen begann.
»Da gab es einen Fluss«, sagte er, den Blick starr auf seinen Doktor gerichtet, »und in der Nähe von diesem Fluss, du weißt schon, wo es ganz viel Wasser gibt, das langsam fließt, bevor es sich ins Meer stürzt«, und er breitete die Arme aus, als wollte er einen unermesslichen Ozean umfangen, während seine Lippen das Rauschen des Wassers nachahmten. »In der Nähe von diesem Fluss waren Fischer, Fischer, solche, die Fische rausholen und sie dann verkaufen. Das waren Leute ohne Flausen im Kopf, nicht so wie wir«, sagte er lachend, »Leute, die halt Hunger hatten, darum fingen sie die Fische und verkauften sie. Und sie aßen sie auch. Alle zusammen aßen sie und fischten sie. Und verkauften die gefangenen Fische. Außerdem jagten sie auch, denn ringsum gab es Sümpfe voller Vögel und Fasanen und Enten.«
Fosco brach ab, die Hände gefaltet, wartete er, um das Publikum zu betrachten, das mittlerweile still geworden war, sich nicht rührte und darauf wartete, dass er weitermachte.
»Gut. Eines Tages kamen zwei fremde junge Männer zufällig in diese Gegend, zu diesen Leuten, sie kamen von irgendwoher, von wo, weiß ich nicht, aber von weit, weit weg, hatten andere Namen, andere Sitten und eine andere Sprache. Sagen wir, sie waren Deutsche. Sie zogen umher, um die Welt zu sehen, und sie kamen zufällig an diesen Fluss, zu diesen Leuten.«
»Waren es welche von den bösen Deutschen?« fragte Mita.
»Es waren einfach Deutsche, es hätten auch Franzosen sein können«, antwortete Fosco ein wenig ärgerlich, dann fuhr er fort.
»Was immer sie waren, für uns ist jedenfalls wichtig, dass sie eine Ente dabeihatten, ein kleines, zartes Entchen, das sie auf ihren Reisen begleitete. Klein und zart«, betonte er und formte mit den Händen eine kleine Kugel, während Renatina lächelnd eine imaginäre Ente am Arm wiegte.
»Die Fischer nahmen sie auf, und alle setzten sich an einen Tisch, an einen Tisch …« wiederholte Fosco mit einem unsicheren Blick in die Runde, doch dann lachte er glücklich, weil er
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