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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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irgendwo eine Person in der Nähe, die die Auseinandersetzung beobachtet haben könnte?«
    »Nein«, antwortete der Ire kopfschüttelnd.
    »Denkt nach! Es könnte über Euer Leben entscheiden. Versucht, Euch in Gedanken zurückzuversetzen, und schaut Euch auf der Straße um. Erinnert Ihr Euch an eine Bewegung, einen Schatten, ein Geräusch, irgendetwas …?«
    Breandán schloss die Augen und konzentrierte sich. Doch nach einer Weile schüttelte er wieder den Kopf. »Nein, ich bin sicher, da war niemand.«
    Jeremy versuchte, sich seine Mutlosigkeit nicht anmerken zu lassen. »Nun, da kann man nichts machen. Ich werde eben nach anderen Zeugen suchen müssen. Der Mörder war dort. Irgendjemand muss ihn gesehen haben.«
    Er bemerkte, dass Breandán an ihm vorbei durch die Eisengitter des Fensters starrte, ohne jedoch irgendetwas zu sehen, und auf einmal überkam ihn Ärger und der gereizte Impuls, ihn an den Schultern zu packen und kräftig zu schütteln, um ihn aus seiner unerklärlichen Lethargie zu reißen. Was war nur in ihn gefahren? Wo war sein kämpferischer Stolz, sein wilder Trotz geblieben, der ihn auf erschöpfenden Heerzügen, in wütendem Schlachtgetümmel und im finstersten Kerker des Newgate am Leben gehalten hatte? Jeremy bemühte sich, Breandáns Reaktion zu verstehen, doch es gelang ihm nicht. Konnte denn ein wenig Eifersucht einem Mann den gesamten Lebensmut nehmen? Wäre das nicht außerordentlich dumm und töricht, fern jeglicher Logik? Aber der Priester wusste auch, dass er hier vor einem Problem stand, das ihm selbst immer fremd gewesen war, und dass es ihm deshalb anderen gegenüber, die tiefer empfanden als er, an Einfühlsamkeit mangelte. Er gestand es nur ungern, aber seine kühle Überlegung, die Richter Trelawney so schätzte, war für einen Geistlichen, dem die Seelsorge schwacher, oft verzweifelter Menschen anvertraut war, ein beklagenswerter Makel. Also entschloss sich Jeremy zu einem weiteren Versuch, jenes Bollwerk des Starrsinns zu durchdringen, das der junge Ire um sich errichtet hatte.
    »Weshalb habt Ihr mir gestern Morgen nicht gleich erzählt, was vorgefallen war, mein Sohn?«
    Breandán zuckte zusammen, als erwache er aus einem Zustand der Betäubung. Die Ketten, die von den Ringen an seinen Hand- und Fußgelenken herabhingen, gaben ein Klirren von sich, das bei beiden Männern unwillkürlich eine Gänsehaut auslöste. Doch Breandán sah den Jesuiten an seiner Seite nicht an.
    »Verzeiht mir, Pater«, sagte er nur.
    »Aber was soll ich Euch verzeihen?«
    »Dass ich Euch enttäuscht habe.«
    Plötzlich meinte der Jesuit zu verstehen. Als der Ire im Herbst vorigen Jahres zu ihnen gekommen war, hatte Jeremy ihn dazu angehalten, seine Streitsucht in Zukunft zu zügeln und keine Scherereien zu machen. Und nun glaubte Breandán, die Erwartungen seiner Wohltäter enttäuscht zu haben – nicht ganz zu Unrecht. Jeremy erinnerte sich, dass er tatsächlich auf diese Weise reagiert hatte, aber nun, da er wusste, was passiert war, wandelte sich seine anfängliche Ernüchterung in Verständnis.
    »Ich denke, ein Mann mit größerer Selbstbeherrschung als Ihr hätte bei einem Zusammentreffen mit seinem schlimmsten Peiniger nicht anders gehandelt«, sagte er sanft. »Es war ein unglücklicher Zufall, dass der Ratsherr ausgerechnet zu jener Stunde am Strand war, als Ihr Euch auf den Heimweg machtet …« Jeremy hielt auf einmal irritiert inne. Ein unglücklicher Zufall … ein Zufall? War es wirklich ein Zufall?
    »Breandán, habt Ihr Lady St. Clairs Stadthaus morgens immer um die gleiche Zeit verlassen?«
    Der Ire wandte verwundert den Kopf. »Ja, immer. Ich wollte das Stadttor erreichen, wenn es geöffnet wurde, so dass ich rechtzeitig in Meister Ridgeways Chirurgenstube sein und ihm zur Hand gehen konnte, bevor die ersten Kunden kamen.«
    »Nun, ich weiß nicht, ob es von Bedeutung ist«, rief Jeremy, und seine Stimme klang erregt. »Aber ich finde es schon merkwürdig, dass sich ein ehrbarer Bürger wie Ratsherr Deane zu so früher Stunde allein am Strand aufhielt. Was tat er dort? Besuchte er jemanden? Weshalb war er ohne Begleitung unterwegs? Wusste er am Ende vielleicht sogar, dass er Euch dort treffen würde? So viele Fragen und so wenige Antworten. Ich fürchte, ich habe noch viel Arbeit vor mir, bis ich das Rätsel lösen kann. Betet zu Gott, mein Sohn, und zur Heiligen Jungfrau, dass sie mir bei meinen Nachforschungen helfen mögen.«

    In den folgenden Tagen schränkte der

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