Die Richter des Königs (German Edition)
an, als müsse sie sich erst klar werden, was er eigentlich von ihr wollte. Dann verschränkte sie die Finger ineinander und erwiderte steif: »Mein Gemahl hat mit mir nie über seine Geschäfte gesprochen.«
»War es denn eine geschäftliche Verabredung, zu der er an jenem Morgen unterwegs war?«, mischte sich nun Jeremy ein.
Die Witwe streifte ihn mit einem abweisenden Blick, der deutlich zeigte, dass sie die Befragung als ungehörig empfand. »Ich weiß nicht, wohin mein Gatte an jenem Tage ging. Er hat es mir nicht gesagt.«
»Und Ihr habt ihn auch nicht danach gefragt?«, hakte Jeremy nach.
»Er war mir keine Rechenschaft schuldig.«
Der gereizte Unterton, der in ihrer Stimme schwang, war für den Jesuiten leicht zu deuten. Natürlich hatte sie ihren Mann an jenem Morgen gefragt, wohin er sich in aller Herrgottsfrühe aufmachte. Und er hatte ihr mit der Arroganz des Patriarchen geantwortet, sie solle sich nicht in seine Angelegenheiten mischen.
»Hatte Euer Gatte Freunde, die in der Nähe des Strand wohnen? Oder suchte er dort vielleicht manchmal jemanden auf, mit dem er Geschäfte machte?«, erkundigte sich Sir Orlando in gleich bleibend höflichem Ton.
»Nicht dass ich wüsste. Alle Kaufleute, mit denen mein Gemahl Umgang hatte, besitzen Häuser innerhalb der Stadtmauern.«
Jeremy überlegte kurz, bevor er einen Schuss ins Blaue wagte: »Ist am Tag vor seinem Tod irgendetwas Außergewöhnliches vorgefallen? Hatte er Besuch von einem Fremden, oder erhielt er eine Nachricht?«
»Mir gegenüber erwähnte er nichts dergleichen«, war die enttäuschende Antwort.
Jeremy spürte, wie ihn allmählich Verzweiflung überkam. Seine Ahnung, dass der frühe Aufbruch des Ratsherrn am Tag seines Todes in direktem Zusammenhang mit dem Mörder stand, bestätigte sich mehr und mehr. Doch die Lösung des Rätsels entzog sich ihm wie ein schlüpfriges Tier.
»Dass Euer Gemahl Euch nichts von einer Nachricht erzählte, heißt nicht, dass es nicht vielleicht doch eine gab«, beharrte Jeremy. »Unter seinen Papieren könnte sich möglicherweise ein Anhaltspunkt finden.«
Im nächsten Moment musste der Jesuit erkennen, dass er zu weit gegangen war. Lady Deanes Gesicht verhärtete sich und wurde noch abweisender, falls dies überhaupt möglich war. Mit einem Ruck erhob sie sich vom Stuhl und rief empört: »Sir, ich weiß nicht, worauf Ihr hinauswollt. Aber Eure Worte klingen, als sei mein Gatte an seinem Tod mit schuld gewesen. Eure Andeutungen grenzen an Unverschämtheit. Mein Gemahl wurde von einem berüchtigten Strolch aus Rache umgebracht, den übrigens Ihr, Mylord, vor gar nicht langer Zeit mit einer milden Strafe habt davonkommen lassen, anstatt ihn zu hängen, wie er es verdiente. Und nun geht! Ihr seid in diesem Haus nicht länger willkommen.«
Sir Orlando warf dem Priester einen bedauernden Blick zu. Sie hatten keine andere Wahl, als sich zurückzuziehen.
Während sie in Trelawneys Kutsche in Richtung Paternoster Row fuhren, brütete Jeremy niedergeschlagen vor sich hin.
»Es tut mir Leid, dass wir keinen Erfolg hatten, Pater«, sagte der Richter mitfühlend, »für Euch mehr als für den Iren, denn Ihr scheint es Euch über jedes vernünftige Maß hinaus zu Herzen zu nehmen. Ihr habt alles Menschenmögliche getan, um McMahon zu entlasten, mehr könnt auch Ihr Euch nicht abverlangen. Es gäbe für ihn noch die Möglichkeit, auf Totschlag zu plädieren und dann das Vorrecht des Klerus in Anspruch zu nehmen, aber, um ehrlich zu sein, habe ich keine Hoffnung, dass die Geschworenen ihm diese Gnade erweisen werden.«
»Werdet Ihr an der Gerichtssitzung teilnehmen, Mylord?«
»Da der König bisher keinen Nachfolger für Lord Chief Justice Hyde ernannt hat, werde ich den Vorsitz führen. Ich verspreche Euch, dass McMahon während des Prozesses in keiner Weise benachteiligt wird. Aber mehr kann ich nicht für ihn tun.«
Fünfunddreißigstes Kapitel
A ls Jeremy den Iren am folgenden Tag im Newgate aufsuchte, fand er ihn unverändert in einem Zustand der Resignation vor. Er schien vor den Augen des Jesuiten zu altern, seine Gesichtszüge erschlafften, seine Haut wurde grau und blutleer, und sein Blick wirkte starr und leblos, fast schon entseelt. Als Jeremy den jungen Mann so sah, überkam ihn das erste Mal in seinem Leben das spontane Verlangen, einen anderen Menschen herzlich in die Arme zu nehmen und ihn tröstend an sich zu pressen, eine Geste, deren Vorstellung bei Jeremy gewöhnlich ein abwehrendes
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