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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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Einen Moment lang wunderte sich Alan über ihre Anwesenheit, dann sagte er sich, dass sie vermutlich wie viele Londoner eine gewisse Faszination für Verbrechen empfand, und versuchte schließlich zu vergessen, dass sie da war.
    Es dauerte nicht lange, bis die Kommissionen verlesen worden waren. Der Gerichtshof summte vor gespannter Aufmerksamkeit und zunehmender Ungeduld, und die Atmosphäre unter den Zuschauern heizte sich mehr und mehr auf, ein Umstand, der Richter Trelawney missfiel und ihn auch ein wenig beunruhigte. Er wollte eine Sitzung ohne Zwischenfälle und ohne geräuschvolle Beteiligung der Menge. Um Ruhe und Ordnung zu gewährleisten, hatte er zusätzliche Gerichtsdiener angefordert. Und um die Geduld der Leute nicht über die Maßen zu strapazieren, hatten die Gerichtsschreiber bei der Erstellung der Prozessliste das Verfahren der Krone gegen Brendan McMahon wegen Mordes an Sir John Deane, Ratsherr und ehemaliger Lord Mayor der Stadt London, an die oberste Stelle gesetzt.
    Als nun endlich die erste Gruppe von Gefangenen in Ketten in den Gerichtshof geführt wurde, ging ein Raunen durch die Menge. Man steckte die Köpfe zusammen und versuchte zu erraten, welcher von ihnen wohl der berüchtigte Mordbube war … der hässliche Kerl mit dem verfilzten Bart … oder der Hüne mit den blonden Haaren … oder vielleicht der Bucklige mit der großen Narbe im Gesicht? Und als ein eher schmächtiger junger Mann mit edlen, aber fahl gewordenen Zügen und den Augen eines Toten der Aufforderung des Gerichtsschreibers folgte und an die Schranke trat, verfielen die Anwesenden unwillkürlich in Schweigen. Dieser abgehärmte Bursche sah tatsächlich nicht besonders gefährlich aus. Alan hörte neben sich sogar ein paar mitfühlende Bemerkungen. Doch die meisten schienen eher enttäuscht, dass sich der schreckliche Raubvogel als sanftes Täubchen entpuppte.
    Alan war betroffen über die Veränderung, die der Ire in den zwei Wochen seit seiner Verhaftung durchgemacht hatte. Jetzt verstand er auch Jeremys Sorge und sein immer verzweifelteres Bemühen, Breandán zu helfen. Etwas nagte an dem jungen Mann, etwas, von dem ihn nur der Strick erlösen konnte.
    Breandán hatte wie verlangt die Hand gehoben, als man seinen Namen aufrief. Daraufhin trug der Gerichtsschreiber die Anklageschrift vor, doch Alan, der das Gesicht des Iren sehen konnte, hatte den Eindruck, als höre er nicht einmal zu.
    »… dass du, ohne die Furcht vor Gott vor Augen zu haben, sondern angetrieben und verführt durch die Anstiftung des Teufels, am fünfzehnten Tag des Monats Mai im siebzehnten Jahr der Herrschaft unseres Souveräns Charles’ des Zweiten, von Gottes Gnaden König von England, Schottland, Frankreich und Irland, Verteidiger des Glaubens, um etwa halb sechs Uhr am Morgen des nämlichen Tages in der Pfarre von St. Martin-in-the-Fields in der Grafschaft Middlesex, Sir John Deane, Ritter, gegen den Frieden Gottes und unseres Souveräns des Königs, dort und zu jener Stunde in verbrecherischer Absicht, aus freiem Entschluss und mit böswilligem Vorsatz angegriffen hast; und dass du, der oben genannte Brendan McMahon, den besagten Sir John Deane von seinem Pferd gezerrt und in einem Hof dort und zu jener Stunde in verbrecherischer Absicht, aus freiem Entschluss und mit böswilligem Vorsatz den besagten Sir John Deane geschlagen und dann mit dem Degen des besagten Sir John Deane im Werte von fünfzehn Shilling den besagten Sir John Deane durchbohrtest, wodurch der besagte Sir John Deane auf die oben genannte Weise dort und zu jener Stunde augenblicklich zu Tode kam. Was sagst du, Brendan McMahon, bist du dieses Kapitalverbrechens des Mordes, wie es in der Anklageschrift niedergelegt ist, schuldig oder nicht schuldig?«
    »Nicht schuldig«, antwortete Breandán, doch seine Stimme war so leise, dass der Gerichtsschreiber ein zweites und schließlich ein drittes Mal nachfragen musste.
    Das juristische Ritual nahm seinen Fortgang mit der Aufforderung an den Beschuldigten, die Autorität des Gerichts anzuerkennen. »Angeklagter, wie soll über dich gerichtet werden?«
    Man wartete auf die vorgeschriebene formelhafte Antwort, doch die Zeit verging, und sie kam nicht. Der Gerichtsschreiber spitzte angestrengt die Ohren, in dem Glauben, dass der Angeklagte noch leiser sprach als zuvor und er die Worte einfach überhört hatte.
    Unruhe entstand, die Zuschauer begannen zu tuscheln, man stieß einander an und fragte, ob der Beschuldigte etwas gesagt

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