Die Richter des Königs (German Edition)
Aufgaben eines Priesters als vielmehr diejenigen eines Arztes erfüllen sollte. Zuvor solle er sich in ein Haus zurückziehen, das die Jesuiten in einem Dorf in Surrey unterhielten, um dort in sich zu gehen und sich auf seine Aufgabe vorzubereiten. Bevor er nach London zurückkehrte, erneuerte Jeremy seine Gelübde und lieferte sich ganz Gottes Gnade aus. Er war sich bewusst, dass ihn die Arbeit, die er übernahm, das Leben kosten konnte.
Nachdem im Mai die Krankheitsfälle leicht zugenommen hatten, griff die Pest im Laufe des Monats Juni immer weiter um sich. Der Sprengel St. Giles-in-the-Fields, in dem zum Großteil Arme wohnten, darunter viele Katholiken, war besonders schwer betroffen. Jeden Donnerstagmorgen schickte Alan Tim auf die Straße, um für einen Penny ein Blatt der wöchentlich erscheinenden Sterberegister zu kaufen. Darin wurden alle Todesfälle der Stadt aufgelistet und die entsprechende Todesursache aufgeführt. Den Opfern der Pest war ein gesonderter Abschnitt gewidmet, so gefürchtet war die Seuche, von der niemand wusste, woher sie kam, was sie auslöste oder wie man sie behandeln sollte. Der Schrecken, den sie verbreitete, war so groß, dass die Angehörigen eines an der Pest Verstorbenen versuchten, die alten Weiber zu bestechen, deren Aufgabe es war, dem Sprengelschreiber die Todesursache zu melden, damit sie statt der Pest Fleckfieber oder gar die französischen Pocken angaben. Eine Familie, in deren Mitte jemand an der Pest erkrankte, wurde von Nachbarn und Freunden gemieden, denn schon seit langer Zeit war bekannt, dass die Seuche von einem Menschen zum anderen übertragbar war, auch wenn man nicht wusste, wie das geschah.
Eines Morgens, kurz nach Jeremys Rückkehr in die Paternoster Row, begab sich Alan wie stets in die Offizin, um alles für die ersten Kunden herzurichten, während Mistress Brewster in der Küche das Frühmahl vorbereitete. Widerwillig saugte er dabei an seiner Tonpfeife, denn er verabscheute den Geschmack des Tabaks, hatte aber wie viele andere angefangen zu rauchen, weil das exotische Kraut als vorbeugendes Mittel gegen Ansteckung galt. Als er seine Werkstatt durchquerte, um die Tür aufzusperren, sah er einen Haufen Leinenbinden auf dem Boden unter dem Fenster liegen.
»Dieser Rotzjunge wird auch von Tag zu Tag nachlässiger«, murmelte Alan vor sich hin und rief dann laut in die Küche hinüber: »Tim, du hast gestern vergessen aufzuräumen! Sieh dir bloß dieses Durcheinander an.«
Kopfschüttelnd beugte sich Alan über den Stoffhaufen und wollte ihn gerade aufheben, als eine schneidende Stimme in seinem Rücken ihn zusammenfahren ließ: »Nein! Nicht anfassen!«
Mit vor Schreck klopfendem Herzen wandte sich Alan um und sah Jeremy mit einem wilden Gesichtsausdruck die Treppe herunterhasten.
»Aber was ist denn?«, fragte Alan verdutzt, der die Aufregung seines Freundes nicht verstand.
Im nächsten Moment hatte Jeremy ihn am Arm gepackt und zog ihn von dem Häufchen Binden fort. Gleichzeitig deutete er mit ausgestrecktem Zeigefinger auf das Fenster. »Der linke Flügel!«, stieß er warnend hervor.
»Was ist damit?«
»Seid Ihr mit Blindheit geschlagen! Seht Ihr nicht, dass der Fensterladen aufgebrochen und der Flügel geöffnet worden ist?«
Allmählich begann Alan zu begreifen. Mit steigendem Entsetzen heftete sich sein Blick auf den Stoffhaufen. »Nein, das kann nicht sein«, murmelte er abwehrend.
»Steht nicht da, als hätte Euch der Blitz getroffen. Schnell, macht Feuer im Kamin!«, befahl Jeremy ärgerlich.
Alan gehorchte ihm schließlich, lief in die Küche hinüber und holte einen glimmenden Holzscheit. Während er sich bemühte, das Feuer anzufachen, kehrte sein Blick immer wieder zu den Binden zurück. »Meint Ihr wirklich, es ist Zunder, an dem der Pestfunke klebt?«, fragte er mit gepresster Stimme.
Jeremy nickte düster, während er sich eine lange, mit einem Haken versehene Stange griff, die dazu diente, in einiger Höhe aufgehängte Gerätschaften zu erreichen. Als endlich Flammen im Kamin hochschlugen, hob der Jesuit die verschmutzten Binden mit dem Haken an und schleuderte sie ins Feuer, wo sie schnell verbrannten und einen unangenehmen Gestank verbreiteten. Dann machte er sich ohne ein weiteres Wort der Erklärung daran, die Riegel des Fensters und des Eichenholzladens zu untersuchen. »Sie wurden eindeutig mit Gewalt aufgebrochen«, verkündete Jeremy. »Ich denke, es steht außer Zweifel, dass dies das Werk unseres Mörders ist. Er
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