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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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Sicherheit bringen möge, bevor es zu spät war.

 Fünfundvierzigstes Kapitel 
    D as schmerzerfüllte Stöhnen des Kranken erfüllte den Raum, begleitet vom unermüdlichen Murmeln des Priesters, der an seiner Seite saß. Der Betende hielt erst inne, als die Tür geöffnet wurde und Jeremy auf der Schwelle erschien.
    »Gut, dass Ihr kommt, Bruder«, sagte der andere. »Es geht ihm schlechter.«
    Jeremy legte seine Tasche ab, in der er Arzneien und chirurgische Instrumente mit sich trug, und trat neben seinen Ordensbruder. Pater Edward Lusher hatte sich beim Ausbruch der Pest sofort freiwillig für die Aufgabe gemeldet, die Armen zu pflegen, obwohl er bereits weit über siebzig war. Jeremy konnte nicht umhin, die Energie und das Durchhaltevermögen des Greises zu bewundern. Er war zäh und unverwüstlich, auch wenn sein Gesicht von tiefen Falten zerfurcht und sein Körper gebeugt war wie ein knorriger alter Baum.
    Der Kranke auf der bescheidenen Bettstatt stieß ein Röcheln aus, das in ein trockenes Husten überging. Aus seinen Nasenlöchern rann dunkles Blut, und sein Atem roch faulig. Jeremy zog das fleckige Laken zurück, unter dem der schmerzverkrümmte Körper lag, und musterte ihn von oben bis unten. Überall bedeckten schwärzliche Pusteln die Haut, und an einigen Stellen hatten sich Karbunkel gebildet, die brandig waren. In der rechten Leiste schließlich saß ein Bubo von der Größe eines Hühnereis. Jeremy berührte vorsichtig die Beule, die sich hart anfühlte. Sofort schrie der Patient gellend auf, als habe man ihn mit einem glühenden Eisen verbrannt. Jeremy und Pater Lusher mussten seine Arme und Beine festhalten, um zu verhindern, dass er, wahnsinnig vor Schmerzen, vom Bett sprang.
    »Wie steht es um ihn, Bruder?«, fragte Lusher, als der Kranke sich beruhigt hatte.
    »Seht Ihr die schwarzen Flecken, die sich unter der Haut auszubreiten beginnen?«, flüsterte Jeremy, denn niemand wusste, wie viel ein Mensch im Delirium von dem verstand, was um ihn herum geschah.
    Sein Ordensbruder nickte. Bisher waren ihm die dunklen Flecken nicht aufgefallen, doch jetzt sah er sie auch. Es waren die Zeichen des nahen Todes, die ihm in den letzten Wochen nur allzu vertraut geworden waren.
    »Ich verstehe«, murmelte er. »Setzt Eure Runde fort, Bruder. Ich bleibe noch hier. Vielleicht kommt er noch einmal zu Bewusstsein.«
    Jeremy hängte sich seine Tasche über die Schulter und nahm den weißen Stab, den er bei seiner Ankunft an die Wand gelehnt hatte, wieder in die Hand. Alle Personen, die mit Pestkranken Kontakt hatten, waren verpflichtet, sich auf diese Weise zu kennzeichnen, wenn sie auf die Straße gingen, damit andere Passanten gewarnt wurden und ihnen aus dem Weg gehen konnten. Als er vor zwei Tagen nach Whitehall gestürmt war, um mit Amoret über Breandán zu sprechen, hatte er in seiner Aufregung diese Pflicht völlig vergessen. Freilich hätten ihm die Wachen keinesfalls den Eintritt in den Palast gestattet, hätte er den Stab mitgeführt. Und im Nachhinein schalt sich Jeremy, überhaupt in Amorets Nähe gewesen zu sein und sie in Gefahr gebracht zu haben, denn er wusste schließlich noch immer nicht, wie die Krankheit tatsächlich übertragen wurde. Jedenfalls hatte er nicht die Absicht, Amoret noch einmal aufzusuchen.
    Jeremy klopfte von innen an die Tür und wartete, bis der Wächter, der draußen stand, das Schloss öffnete und ihn hinausließ. Niemand außer den Ärzten und den Beschauern, die dem Sprengelschreiber die Todesursache zu melden hatten, durfte ein befallenes Haus betreten, doch die Wachleute erlaubten zumeist auch Priestern den Zutritt.
    »Soll ich den Totenkarren anhalten, Doktor?«, fragte der mit einer Hellebarde bewaffnete Wächter.
    »Noch ist es nicht so weit«, widersprach Jeremy. »Gegen Morgen, denke ich.«
    Ohne noch einmal zurückzublicken, machte sich der Jesuit auf den Weg zu seinem nächsten Patienten. Wie viele hatte er bereits unter Qualen sterben sehen! Nur wenige überlebten die Seuche, und noch weniger blieben ganz verschont. Nur Gott wusste, warum. Die engen Gassen, durch die er ging, waren düster und gespenstisch still. Nur vereinzelt brannte eine Funzel, an der er sich orientieren konnte. Abgesehen von den vor den versperrten Häusern postierten Wachen, war keine Menschenseele unterwegs, kein Hund, keine Katze gab Laut oder kreuzte seinen Weg. Sie waren auf Anordnung des Stadtrats zu Tausenden abgeschlachtet worden. Kaum ein Streuner war den Hundeschlägern

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