Die Richter des Königs (German Edition)
vorkam.
»Versteht Ihr nun, warum ich Euch nicht hier zurücklassen kann, Pater!«, sagte Amoret flehentlich. »Ich habe mir geschworen, Euch zu beschützen.«
»Ja, ich verstehe. Und das Letzte, was ich will, ist, Euch Leid zuzufügen. Aber Ihr müsst auch mich verstehen. Ich habe geschworen, mich um die armen Menschen hier zu kümmern. Ich muss bleiben!«
Amorets Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Verzweifelt suchte sie nach weiteren Argumenten, die ihn umstimmen könnten, und als sie keine fand, griff sie zum letzten Mittel, das ihr noch blieb.
»Ihr seid also entschlossen, in der Stadt zu bleiben?«
»Ja.«
»Dann bleibe ich auch!«
Jeremy spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. »Das könnt Ihr nicht tun, Madam. Das ist viel zu gefährlich.«
»Weniger gefährlich als Euer Entschluss, weiterhin Pestkranke in ihren Häusern zu besuchen.«
»Madam, Ihr müsst in der Nähe des Königs bleiben. Nur dort seid Ihr sicher. Ich bitte Euch, hört auf mich!«
Amorets Augen begannen zu funkeln. Leise sagte sie, und ihre Stimme zitterte dabei: »Ich weiß genau: Wenn ich jetzt gehe, werde ich Euch nie wiedersehen!«
Jedes weitere Wort blieb Jeremy im Hals stecken. Er konnte sie nicht länger täuschen, und er wollte es auch nicht. Es gab nichts mehr zu sagen. Er kannte ihre Starrköpfigkeit zu gut, um sich länger mit ihr zu streiten. Widerspruch würde sie nur noch verstockter machen.
»Lebt wohl, Mylady«, sagte er und ging.
Den Rest des Tages fiel es Jeremy schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er hatte seine Vorräte an Arzneipflanzen kontrolliert und festgestellt, dass ihm fast alles ausging. Also begab er sich am nächsten Morgen zum Apotheker. Zu seiner Enttäuschung klärte Meister Bloundel ihn jedoch auf, dass infolge der Pest die Arzneivorräte in ganz London knapp geworden seien. Erst vor drei Tagen habe der Ratsherr Sir Henry Crowder eine große Bestellung aufgegeben.
»Der Lord Mayor und der Stadtrat haben verfügt, dass kein Ratsherr oder Magistrat London verlassen darf. Daraufhin hat sich Sir Henry dermaßen eingedeckt, dass meine Frau dem Gesellen bei der Auslieferung helfen musste«, berichtete Meister Bloundel. »Es tut mir Leid, Doktor, aber ich habe keinen Krümel Chinarinde mehr. Und ich weiß nicht, wann ich wieder welche bekomme.«
»Wie steht’s mit Weidenrinde?«, erkundigte sich Jeremy bedrückt.
»Zwei Unzen kann ich Euch noch geben, aber das ist alles.«
Jeremy ließ sich die kostbare Arznei einpacken und legte das passende Geld in die Essigschale, die für diesen Zweck auf dem Ladentisch bereitstand. Er selbst glaubte nicht an die Möglichkeit, sich durch die Berührung von Münzen anzustecken, weil Metall keine Poren besaß, in denen sich der Pestzunder einnisten konnte, aber die Kaufleute ergriffen jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme, um sich vor der Seuche zu schützen. Selbst Briefe wurden zuerst über kochendem Essig geräuchert oder tagelang an die Wäscheleine gehängt und gelüftet, bevor man sie öffnete.
Die bescheidene Menge der Arznei würde nicht lange vorhalten, und so war Jeremy gezwungen, stundenlang durch London zu marschieren und einen Apotheker nach dem anderen abzuklappern. Die Ausbeute blieb dürftig. Ohne auszuruhen, machte er seine alltägliche Runde bei den erkrankten Familien in St. Giles. Am Morgen kehrte Jeremy zutiefst niedergeschlagen in die Paternoster Row zurück und wusch sich und seine Kleider ausgiebig, wie er es immer tat, wenn er Kontakt mit Pestkranken gehabt hatte. Diese Maßnahme hatte ihn bisher vor der Seuche bewahrt. Allerdings waren die Häuser der Armen, die er in St. Giles aufsuchte, so verdreckt und voller Ungeziefer, dass selbst gründliches Waschen ihn nicht vor den Bissen hungriger Flöhe und Läuse schützte. Es war, als habe sich die Zahl dieser lästigen Plagegeister seit Ausbruch der Pest um einiges vervielfacht. Auch an diesem Morgen fing Jeremy mehrere Flöhe und Kleiderläuse, die er mit den Fingernägeln zerquetschte. An seinen Beinen, wo er arg gebissen worden war, juckte die Haut entsetzlich. Erst als er sich mit einer beruhigenden Salbe eingerieben hatte, ließ der Juckreiz allmählich nach. Um die Flöhe zu vertreiben, spritzte er überall im Haus Wasser mit Koriander über den Boden und die Möbel. Wenig später war die Unannehmlichkeit vergessen. Jeremys Gedanken wanderten wieder zu Amoret. Inbrünstig betete er zu Gott und flehte, dass diese dumme Törin zur Vernunft kommen und sich in
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