Die Richter des Königs (German Edition)
versagte, und er brachte nur ein Röcheln zustande. Erst beim zweiten Versuch bekam er einen Ton heraus. Wieder und wieder rief er um Hilfe, doch als sich nichts rührte, ließ er erschöpft den Kopf zurücksinken. Sie hatten ihn nicht gehört.
»Konstabler, was war das für ein Geräusch?«, sagte plötzlich die vertraute Stimme aus einiger Entfernung.
»Sir, lasst uns lieber gehen. Es ist unheimlich hier«, antwortete der Angesprochene.
»Nein, ich habe etwas gehört.«
Von neuer Hoffnung erfüllt, schrie Jeremy so laut er konnte: »Hilfe! Helft mir!«
»Da ruft jemand, Konstabler. Wir müssen nachsehen.«
»Das sind die Geister der Toten, Sir.«
»Abergläubischer Trottel! Soll ich Euch erst Beine machen?«
Zu seiner Erleichterung sah Jeremy kurz darauf eine Gestalt am Rande der Pestgrube auftauchen. »Ist da jemand?«, fragte der Mann und sank schließlich in die Hocke, um besser sehen zu können.
»Hier bin ich. Bitte helft mir heraus«, flehte Jeremy verzweifelt.
»Konstabler, kommt her mit Eurer Laterne und leuchtet mir. Ich kann nichts erkennen. Wird’s bald, du Feigling!«
Nur widerwillig näherte sich der bebende Ordnungshüter der Pestgrube und leuchtete vorsichtig in die Tiefe. Jeremy war es gelungen, sich aufzusetzen und den Arm in Richtung des flackernden Lichts zu heben.
»Eine der Leichen lebt noch«, sagte die vertraute Stimme. »Armer Teufel!« Der Mann trat so nah wie möglich an den Rand der Grube und streckte Jeremy die Hand entgegen. »Greift zu. Ich ziehe Euch rauf.«
Der Jesuit befreite seine Beine, die sich mit den steifen Gliedern eines Leichnams verkeilt hatten, und kroch auf allen vieren über die anderen hinweg, ein ständiges Würgen in der Kehle. Mühsam erreichte er die rettende Hand, die sich mit einem kräftigen wohltuenden Griff um die seine schloss und ihn mit einem Ruck auf den Rand der Grube zog. Taumelnd, am ganzen Körper zitternd, kam Jeremy auf die Füße. Ein glühender Schmerz raste sein Rückgrat entlang bis in seinen Kopf und schnitt wie eine Messerklinge durch sein Gehirn.
»Bei Christi Blut, Dr. Fauconer, was ist denn mit Euch geschehen?«, rief der Mann, der ihm die Hand gereicht hatte, betroffen.
Verwundert, seinen Decknamen zu hören, sah Jeremy in sein Gesicht. Es gehörte dem Friedensrichter Edmund Berry Godfrey. Die Erleichterung, die er verspürte, ließ gleichwohl seine Beine unter ihm nachgeben. Kraftlos fiel er auf die Knie und stützte sich mit beiden Händen im Gras ab, um nicht umzukippen. Erst jetzt, als er benommen an sich herabsah, stellte er fest, dass er völlig nackt war. Man hatte ihm während seiner Bewusstlosigkeit die Kleider gestohlen. Im nächsten Moment fühlte er, wie sich der Stoff eines leichten Umhangs um seine Schultern legte. Godfrey hockte sich neben ihn und betrachtete ihn mit einer Mischung aus Entrüstung und Mitleid. »Wer hat Euch so zugerichtet, Doktor?«
»Derselbe, der die Anschläge auf Richter Trelawney verübt und der Baron Peckham, Sir John Deane und die anderen ermordet hat«, entgegnete Jeremy schwach. »Er hat mich hinterrücks in einer Gasse überfallen und wollte mich erschlagen. Bevor ich ohnmächtig wurde, hörte ich den Totenkarren kommen. Vermutlich hat dieser den Mörder verscheucht.«
»Und die Siechknechte haben Euch eingesammelt, weil sie Euch für tot hielten«, ergänzte Edmund Godfrey. »Sie werden Euch auch um Eure Kleider erleichtert haben. Seid Ihr schwer verletzt?«
Jeremy tastete über sein Genick, fand aber keine Wunde, nur eine Schwellung. Die Schmerzen hatten ein wenig nachgelassen. Auch sein Arm, mit dem er einen der Schläge abgewehrt hatte, war blaurot angelaufen und geschwollen, aber, soweit er feststellen konnte, nicht gebrochen. Er hatte Glück im Unglück gehabt. Er war noch am Leben, doch er wusste nur zu gut, welche Folgen sein Aufenthalt zwischen den Pestleichen haben konnte.
»Nein, es geht schon. Sir, Ihr hättet mir Euren Umhang nicht geben sollen«, wandte Jeremy mit einem traurigen Lächeln ein. »Ihr habt gesehen, wo ich gelegen habe. Ich könnte ihn Euch nicht guten Gewissens zurückgeben.«
»Behaltet ihn«, erwiderte Godfrey mitfühlend. »Ihr seid der Freund eines guten Freundes. Ich helfe Euch gerne, soweit ich kann. Was ist mit dem Attentäter? Habt Ihr ihn gesehen?«
»Nein, ich habe ihn weder gehört noch gesehen. Er hat mich völlig überrascht. Aber er muss fürchten, dass ich ihm auf der Spur bin, sonst hätte er nicht versucht, mich aus dem Weg zu
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