Die Ringe der Macht
welche ich über meyn Volck gebracht.«
»Ein drittes Tor zur Untererde?«, fragte Burin. Er war blass geworden. »Das ist Frevel, Blasphemie.«
Auch Gregorin war bleich, aber er wich dem Blick des anderen Zwergen nicht aus. »Es war die einzige Lösung«, sagte er. »Wie sollte er mir sonst eine Botschaft zukommen lassen? Die anderen Tore waren verschlossen.«
»Aber er besaß den Schlüssel«, sagte Burin. »Was ist mit seinem Ring? Wo ist er?«
»In der Obhut des Meisters. Des Meisters, der mich gesandt hat.«
»Kann mir jemand mal sagen, worum es geht?«, mischte sich Kim ein.
»Es gab zwei Tore zwischen der Untererde und den Mittelreichen«, erklärte ihm Burin wie ein Schulmeister einem Kind. »Beide wurden sie verschlossen im Einklang mit dem Willen des Herrn, den wir als den Meister kennen, und seiner Gemahlin. Zwei Ringe schuf der Fürst der Überwelt für die Zwerge, dass sie die Tore der Untererde bewachten. Den einen trug Meister Fregorin, soweit ich weiß, und er verlieh ihm Macht, die Schatten zu bannen. Den anderen …«
»… trage ich«, sprach Gregorin. An seiner Hand blinkte ein Ring, den keiner von ihnen bislang wahrgenommen hatte, golden, mit einem Stein wie aus Topaz.
»Dann seid Ihr durch eines der Tore gekommen«, erkannte Kim.
»Durch das Tor des Südens kam ich hierher, und wie schwer dies war, habe ich selbst erfahren. Es liegt verborgen unter Schnee und Eis. Auch das nördliche ist verborgen, tief im Felsengestein. Aber wenn es ein drittes Tor gibt, hier in Zarakthrôr, dann muss es bewacht werden.«
»Damit es die Gnome nicht finden und in die Untererde eindringen?«
»Damit das Gefüge der Welt nicht erschüttert wird.«
Kim schloss das Buch. Es gab nichts mehr zu sagen – das heißt, bis auf eines:
»Was ist mit der Botschaft, von der Euer Bruder schrieb? Sie muss Euch erreicht haben, sonst wäret Ihr nicht hier.«
Gregorin fuhr auf: »Ihr habt kein Recht …«
»Doch«, sagte Kim fest und wusste selbst nicht, woher er die Kraft und die Selbstsicherheit dazu nahm, »ich glaube, das haben wir.«
»Zeigt sie uns«, sagte auch Burin. »Denn nur das Ende erweist den Wert einer Tat.«
Gregorin griff in den Beutel um seinen Hals, den er zeit seines Erwachens getragen und in dem er die Karte von Zarakthrôr aufbewahrt hatte. Er nahm ein mehrfach gefaltetes Stück Pergament hervor und warf es vor ihnen auf den Tisch.
»Nehmt und lest!«
Kim glättete es vorsichtig und begann zu lesen:
» H AMA fregorin an seynen Bruder Ard HAMA gregorin, Ertzmeyster, letzter der Drei.
Bruder –
Diß schreybe ich Dihr am Ende meyner Tage, sintemal ich spühre, wie meyn Gheyst erstarrt.
Die Weßen, die ich schuff, haben Zarakthrôr genomen. Jch habe mich hihr in meyner Thronhalle eingeschlossen und erwarte das Ende. Hihr wil ich nun als Zeychen meynes Gehohrsams mit dem Ring der Macht, der mihr verliehen wardt, das Thor zu den Welten, welchselbiges ich in meynem Frevelmuth schuf, verschleußen. Zusammen mit meynem Ring, den ich in die Obhut des Meysters gebe, und eyner Karte, die Dich durch die Hallen von Zarakthrôr geleithen sol, werde ich dißen Brief in das Thor versencken, mit diser meyner Botschaft:
Komm, Gregi, wenn du nicht zu Steyn geworden bisst wie ich. Nimm auf dem Throne Platz, den ich Dir errichtet habe, und bewache diß Thor, dasz keiner es je durchschreite, zusamen mit Deynem ohnglücksäligen Bruder
Fregi
Gegeben zu Zarakthrôr im zweihundertundfünfzigsten Jahre der Zeytrechnung des Ffolkes, in dem unsere Gegenwarth, Vergangenheyt und Zukunft liegt.
Aber … das ist mehr als fünfhundert Jahre her«, stammelte Kim.
»Eine Lawine ging über das Tor nieder, als ich hinaustrat, und das Einzige, was mir blieb, um mich zu retten, war shazâm.«
»Der lange Schlaf«, sagte Kim.
»Keiner hat je so lange geschlafen wie er«, fügte Burin hinzu. »Darum konnte ich auch zunächst nicht glauben, dass Ihr es wirklich wart, Erzmeister«, sagte er, an Gregorin gewandt.
»Habe ich das richtig verstanden?«, fragte Fabian. »Es gibt ein Weltentor, hier in Zarakthrôr, hier in diesem Raum? Aber wo?«
»Hier«, sagte Gwrgi, der an dem nachtdunklen Pfuhl in der Mitte des Raumes kniete.
Keiner hatte gemerkt, dass der Sumpfling sich heimlich davongeschlichen hatte, schon früher, als von der Schaffung der Gnome die Rede war, und jetzt sahen sie plötzlich, dass er weinte.
Aller Augen richteten sich auf das schwarze Wasser im Zentrum des Doppelthronsaales, als ein gewaltiger Schlag
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