Die Ritter des Nordens
nicht mehr sicher«, schnaubte Ædda. »Im Grunde genommen ist es ganz egal, wohin wir gehen. Das ganze Land ist in Aufruhr.«
»Und was sollen wir dann tun, Engländer? Sollen wir vielleicht warten, bis wir deinen Landsleuten in die Hände fallen, die mit den Walisern gemeinsame Sache machen?«
Ædda ging auf Galfrid los. »Was willst du damit sagen?«
Der Flame zeigte sich jedoch völlig unbeeindruckt, obwohl er einen ganzen Kopf kleiner war als mein Stallmeister. »Wenn eure Leute uns nicht verraten hätten, wäre das doch alles gar nicht passiert. Dann würden wir jetzt nicht ziellos durch die Gegend laufen, sondern satt und bequem zuhause am Feuer sitzen und Ale trinken.« Er ließ den Blick auf den beiden Saxen ruhen, die Ædda am Gürtel trug und von denen ich ihm eines gegeben hatte. Der Stallmeister war plötzlich jeder Zoll ein Krieger, und vielleicht war es das, was Galfrids Misstrauen weckte. Wie viele der Fremden, die nach der Invasion auf die Insel gekommen waren, sah er in den Engländern minderwertige Menschen und nicht etwa Freunde oder gar Verbündete. »Mylord, der Mann hat hier nichts zu suchen«, sagte er und sah mich an. »Woher wollt Ihr eigentlich wissen, dass er uns nicht verrät?«
»Keine Sorge«, entgegnete ich. »Für Ædda lege ich die Hand ins Feuer. Im Übrigen hat er mit seiner Feststellung völlig recht. Es ist nämlich längst nicht gewiss, dass wir in Wessex in Sicherheit wären.«
»Und wohin gehen wir dann?«, fragte Father Erchembald.
Ich vergrub das Gesicht in den Händen und dachte nach. Obwohl ich die Männer selbst hergebeten hatte, hatte ich noch keine genauen Pläne. Seit Wigheard mir erzählt hatte, was sich in Eoferwic zugetragen hatte, befand ich mich in einem Zustand tiefer Verzweiflung. Denn es war genau das eingetreten, was Fitz Osbern schon vor vielen Wochen befürchtet hatte. Alles um uns her brach zusammen, und je mehr wir uns dagegenstemmten, umso schneller schien alles sich aufzulösen.
»Tancred?«
Ich blickte auf und blinzelte. Der Priester wartete immer noch auf eine Antwort.
»Wie viele kampffähige Männer haben wir?«, fragte ich in die Runde.
»Höchstens zwanzig«, erwiderte Ædda. »Allerdings haben die Leute weder Waffen noch Schilde.«
»Dann müssen wir ihnen welche besorgen.«
»Und woher nehmen?«, fragte Galfrid höhnisch. »Und glaubt Ihr im Ernst, dass die Leute nach allem, was sie gesehen haben, noch kämpfen wollen?«
»Wenn sie sich nach Gerechtigkeit sehnen und den Wunsch nach Rache an den Männern verspüren, die das hier angerichtet haben – dann ja.« Ich für meinen Teil verspürte jedenfalls eine unbändige Lust, endlich wieder Blut zu vergießen.
Ich blickte im Kreis umher und sah Rædwulf, Drægric und Odgar an. Und dann waren da noch die Männer von den zerstörten Gutshöfen in der Gegend und viele andere, deren Namen ich nicht kannte, sowohl Franzosen als auch Engländer. Da keiner von ihnen einen Einwand erhob, nahm ich an, dass sie mir zustimmten. Entweder das, oder aber sie trauten sich nicht, mir zu widersprechen.
Ædda blickte nachdenklich in die züngelnden Flammen und nickte ernst. Ich hätte zu gerne gewusst, was er gerade dachte: ob er auch darauf brannte, in den Kampf zu ziehen, oder ob er sich lediglich aus Pflichtgefühl dazu bereit fand mitzumachen. Ob er trotz der schlimmen Erfahrungen, die er in der Vergangenheit gemacht hatte, noch einmal die nötige Angriffslust in sich entfachen konnte? Gegen die Anflüge von Angst, die im Gefecht unvermeidlich sind, hilft nur ein gerüttelt Maß an Enthusiasmus. Denn wer sich von Angst überwältigen lässt, ist schon so gut wie verloren.
Ich versuchte, diese düsteren Gedanken zu verscheuchen. Noch einen guten Freund zu verlieren konnte ich mir einfach nicht erlauben. Ebenso wenig konnte ich jedoch garantieren, dass alle Männer, die mit mir in den Kampf zogen, am Ende überleben würden. Ich fand den Gedanken, dass einige dieser – zum Teil kaum erwachsenen – Männer unter meiner Führung im Kampf den Tod finden würden, schon im Voraus unerträglich. Aber hatte ich denn eine Wahl?
»Der König selbst marschiert bereits«, sagte ich, an die Männer gewandt. »Wenn wir mit seiner Hilfe das Land zurückholen wollen, das uns gehört, brauche ich jeden verfügbaren Mann. Wollt ihr mit mir ziehen?«
Der Priester übersetzte meine Worte ins Englische. Offenbar zeigte meine Entschlossenheit eine gewisse Wirkung; denn die Männer willigten einer nach dem anderen
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