Die Ritter des Nordens
diesem Abend im Licht der untergehenden Sonne durch das weite Land und spürte, wie Fyrhead allmählich erlahmte. Trotzdem trieb ich ihn noch einmal einen Hügel hinauf und gelobte mir, danach wirklich umzukehren. Es war bereits Ende September, die endlosen Sommerabende waren längst vorbei, und die Dunkelheit brach um diese Jahreszeit schnell herein. Zudem war ich nicht sicher, ob ich den Weg zurück zu den anderen im Dunkeln finden würde.
Fyrheard wurde immer widerspenstiger und wollte nicht mehr weitergehen. Ich dagegen wollte ihm zeigen, wer das Sagen hatte, und trieb ihn unerbittlich den Hügel hinauf. Dabei folgten wir einem mäandernden Wildwechsel, bis wir schließlich oben ankamen und ich eine weite Ebene vor mir sah …
… in der Hunderte tote Männer und Pferde den Boden bedeckten. Dazwischen überall zerfetzte, blutbesudelte Banner und Wimpel. Die untergehende Sonne tauchte die Szenerie in ein glutrotes Licht, sodass ich mich unwillkürlich an jene Abgründe der Hölle erinnert fühlte, von denen Father Erchembald manchmal sprach. Ein grauenerregender Verwesungsgeruch schlug mir entgegen, der diesen furchtbaren Eindruck noch verstärkte.
Ich ritt den Hang hinunter. Überall sah ich erloschene Lagerfeuer und die Überreste zerstörter Zelte. Hier musste sich ein Lager befunden haben, ob vom Feind oder von König Guillaume, vermochte ich allerdings nicht zu erkennen. Auch die Toten, die ringsum am Boden lagen, waren kaum zu identifizieren, so schlimm waren sie durch Verletzungen und durch Aasfresser zugerichtet. Als ich in der Mitte des zerstörten Lagers ankam, sah ich rund um die Feuerstellen überall Becher und Holzteller, von denen manche noch halbvoll waren; außerdem lagen dort aus diversen Pelzen zusammengenähte Mäntel umher, wie die Waliser sie häufig trugen. Zu meiner Beruhigung trug auch der Umstand bei, dass mir die zerrissenen Banner und Wimpel, die ringsum am Boden lagen, unbekannt waren.
Dann sah ich am Rand eines Wäldchens, das an einen Fluss grenzte, ungefähr ein Dutzend Frauen. Ihre dunklen Gewänder wiesen sie als Nonnen aus. Im ersten Moment begriff ich nicht recht, was sie an diesem Ort zu suchen hatten, bis ich den Wagen sah, der bis obenhin mit Leichen vollgeladen war. An einem Ende des Schlachtfelds war ein tiefer Graben ausgehoben, in den die Frauen die Toten ohne weitere Zeremonien beförderten. In einiger Entfernung sah ich ein Ochsengespann, das aber nicht etwa einen Pflug zog, sondern den erstarrten Körper eines toten Pferdes hinter sich herschleppte. Der Bauch des Pferdes war seitlich aufgeschlitzt, und aus der Wunde quollen die von Fliegen umschwärmten Eingeweide.
»Hallo«, rief ich und winkte den Nonnen zu, um mich bemerkbar zu machen. Dann ritt ich in ihre Richtung. »Hey!«
Obwohl ich alleine war, reagierten die Frauen anfangs misstrauisch, und das völlig zu Recht. Das Schwert, das ich an der Seite trug, war ihnen gewiss so wenig entgangen wie der Helm auf meinem Kopf. Doch dann stieg ich ab und öffnete die Arme, um zu signalisieren, dass ich nichts Böses im Schilde führte.
Die Frauen hatten die langen Ärmel ihrer Habite bis zum Ellbogen aufgerollt; ihre Unterarme waren mit Blut und Schmutz bedeckt. Die meisten von ihnen waren noch jung, doch eine, die älter war als die Übrigen, schien an der Beseitigung der Toten nicht unmittelbar beteiligt zu sein, denn ihre Hände waren makellos sauber. Sie kam mir entgegen, um mich zu begrüßen, und stellte sich als Mutter Sæthryth vor. Dann wollte sie wissen, was mich hergeführt hatte.
Ich ging nicht direkt auf ihre Frage ein, sondern nannte ihr bloß meinen Namen. »Was ist hier passiert?«
»Eine fürchterliche Schlacht, Mylord.«
»Das sehe ich«, entgegnete ich leicht gereizt. Von Nonnen und Mönchen hatte ich noch nie viel gehalten und begegnete ihnen daher meist mit einer gewissen Unduldsamkeit. »Und wer hat gesiegt?«
»Natürlich König Guillaume. Er hat die Waliser mitten in der Nacht im Schlaf überfallen. Und dann hat er hier ein gewaltiges Gemetzel angerichtet, bis die Feinde am Ende geflohen sind. Ich fürchte, dass Ihr zu spät kommt.«
Ich ging auf die Bemerkung nicht ein. »Und was ist mit dem walisischen König, Bleddyn? Haben unsere Leute ihn erschlagen?«
»Nein, er ist leider entkommen. Angeblich hat er sich hinter den Grenzwall zurückgezogen. Allerdings weiß niemand so genau, wann er das Schlachtfeld verlassen hat und wohin er geflohen ist.«
Bleddyn hatte nicht nur Byrhtwald
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