Die Rollbahn
zuging.
»Sie sind ja noch immer hier!«
»Wo Gesang ist, laß dich ruhig nieder –«
»Ich werde nächstens Rechnen geben, wenn ich Sie wieder sehe.«
»Ich hatte in Mathematik ›sehr gut‹!«
»Vielleicht verscheucht Sie Grammatik.«
Heinrich lächelte breit. »Es gibt keine Grammatik, die so langweilig ist, daß sie nicht aus Ihrem Munde doch wie ein Lied klingen könnte.«
Die junge Lehrerin warf einen Seitenblick auf den großen, blonden Sanitäts-Unteroffizier. »Über Ihre Primanerjahre scheinen Sie nicht hinausgekommen zu sein? Ich glaube, Ihre Verwundeten brauchen Sie nötiger als ich Ihre dummen Worte.«
»Oh, Sie kennen sich aus in militärischen Zeichen?«
»Ihr Äskulapstab ist ja kaum zu übersehen.« Sie wollte an ihm vorbei hinaus auf den Schulhof, als Heinrich sich verbeugte.
»Walter Heinrich, stud. med. im 4. Semester. Aus dem Hörsaal gerissen für Führer und Großdeutschland. Zukünftiger Chirurg mit leidlichem Gehalt. Spezialist für geplatzte Blinddärme und gebrochene Herzen.«
»Elsbeth Holzer.« Sie lächelte plötzlich, und es war Heinrich, als schiene die Sonne auf einmal mit tropischer Gewalt. Er knöpfte seine Feldbluse wieder auf.
»Aus Deutschland?«
»Nein. Aus Budekudien.«
Heinrich hob ein wenig hilflos die Schultern. »Verzeihen Sie, Fräulein Holzer … aber es kommt mir nicht in die Vernunft, wieso ein deutsches Mädchen hier im tiefsten Polen hinter der Front Unterricht gibt.«
Elsbeth Holzer sah über die Schar der auf dem Schulhof spielenden und tobenden Kinder. In ihrem Haar spiegelte sich die Sonne. Ein Schimmer tiefsten Rotgoldes überzog es. In Heinrichs Hals setzte sich ein merkwürdiger Kloß fest, und er versuchte, ihn durch vielfaches Schlucken wieder loszuwerden.
»Nach unserem Lehrerinexamen in Dortmund wurden wir nach Osten geschickt an die neugegründeten deutschen Schulen. Volkstumsarbeit nennen sie das. Ich unterrichte hier sieben Kinder von deutschen Verwaltungsbeamten und dreißig ›volksdeutsche‹ Kinder, von denen die wenigsten Deutsch sprechen.«
»Das muß doch nervenaufreibend sein.«
»Es gibt Schlimmeres.«
»Und Sie fühlen sich wohl hier?«
»Ja.« Elsbeth Holzer nickte. »Nasielsk ist ein schönes Städtchen. Und das Land ist wunderbar. Die Birkenwälder, die Felder, diese friedliche Stille, die über allem liegt …«
»Es könnte eines Tages anders sein, Fräulein Holzer. Wenn die deutsche Front zurückgeht …«
Ihr Kopf fuhr herum. In den graugrünen Augen standen Verwunderung und Mißtrauen.
»Zurückgehen? Wir werden in diesem Jahr Moskau erobern!«
»Schön wär's.«
»Sie glauben nicht an den deutschen Sieg? Sie als Soldat!«
»Aber Sie glauben daran?« wich er aus.
»Ja«, sagte sie fest. »Ja. Es wäre für uns alle schrecklich, wenn wir daran zweifeln.« Sie sah auf ihre Uhr. Noch fünf Minuten bis zum Ende der Pause. »Wo kommen Sie her?«
»Aus Sczynno. Dort liegt unser Lazarett.«
»Sczynno? Kennen Sie das Gut von Rehmdes?«
»Flüchtig. Ich bin einmal daran vorbeigefahren.«
»Ich bin dort öfters eingeladen. Wir haben hier einen kleinen Kreis Deutscher, der sich oft bei Rehmdes trifft.«
Heinrich lächelte. »Dann werde ich nächstens nicht mehr vorbeifahren, sondern anhalten. Oder werden Sie mich nicht mehr kennen, weil ich Ihren Unterricht gestört habe?«
»Das kommt darauf an, wie Sie sich fernerhin benehmen.« Ihre graugrünen Augen waren kühl, als sie ihn ansah. »Warum sind Sie eigentlich stehengeblieben?«
»Ich liebe Musik und kupferglänzende Haare …«
Wortlos wandte sich Elsbeth Holzer ab und zog an einer kleinen, grellen Glocke. Pause beendet. Die Kinder stürmten in die Schule zurück. Heinrich trat an Elsbeth heran.
»Auf Wiedersehen«, sagte er ehrlich.
»Ich glaube es nicht.«
»Sie sollten es aber. Das ist sicherer als der Endsieg.«
Sie fuhr herum. Ihr Gesicht war gerötet. Mit ihren kupfernen Haaren und den sprühenden Augen sah sie herrlich aus. Heinrich stockte der Atem.
»Sie sind ein ekelhafter Kerl!« sagte sie leise in verhaltenem Zorn. »Ich werde Sie wirklich nicht kennen, wenn ich Ihnen noch einmal begegnen sollte!«
Mit weit ausgreifenden Schritten eilte sie den Kindern nach in die Klasse. Der buntbedruckte Glockenrock wehte um ihre schlanken Beine …
Nachdenklich ging Unteroffizier Heinrich über den großen Platz zurück in die Innenstadt von Nasielsk. Er blickte sich nicht mehr um zur Schule. Ich sehe sie ja doch wieder, dachte er. Und wenn ich jede
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