Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Mid-Atlantic in Arlington, Virginia. Das Ganze hat zu tun mit einem kleinen Unfall auf der Connecticut Avenue in Downtown Washington, der sich ereignete, kurz nachdem George [McGovern] und seine Frau an einem heißen Juliabend die letzten schwankenden Gäste ihrer Party zur Feier des ersten Jahrestages von McGoverns Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten auf dem Parteitag der Demokraten in Miami verabschiedet hatten.
Die Stimmung auf der Party war erstaunlich locker und von guter Laune geprägt. Zweihundert Leute waren eingeladen – doppelt so viele waren aufgetaucht –, um noch einmal einen Wahlkampf zu feiern, der, ausgestattet mit der einen oder anderen Fußnote, als eine der desaströsesten Kampagnen der amerikanischen Geschichte in selbige eingehen wird. Die Feier war gerade schön in Schwung, und ich stand mit Carl Wagner und Holly Mankiewicz auf der Veranda und unterhielt mich, als das Telefon plötzlich klingelte und wer auch immer rangegangen war, mit der Nachricht zurückkam, dass Präsident Nixon gerade ins nahe gelegene Marine Hospital in Bethesda eingeliefert worden war. Die offizielle Begründung lautete auf eine »virusbedingte Lungenentzündung«.
Das glaubte natürlich niemand. Topjournalisten wie Jack Germond und Jules Witcover stürmten sofort zu den verfügbaren Telefonen, um herauszufinden, was wirklich mit Nixon los war … doch der Rest von uns, der sich nicht länger mit Abgabeterminen oder dem rapide wachsenden Entsetzen angesichts eines demnächst anstehenden Wahltages herumschlagen musste, zuckte nur mit den Schultern und widmete sich wieder seinen Getränken. Dass Nixon irgendwann im Krankenhaus landen würde, ob nun wegen einer Infektion oder einer psychosomatischen Erkrankung, kam für niemanden von uns überraschend. Und falls die Wirklichkeit noch schlimmer war als die offiziellen Verlautbarungen, hätte auch das niemanden in Erstaunen versetzt.
Eine kleine, aber umso lautstärkere Gruppe unter den zweihundert geladenen Gästen wurde gebildet von einer Handvoll Topjournalisten, die den gesamten letzten Herbst damit verbracht hatten, auch noch die schwächste Zuckung McGoverns während seiner Wahlkampagne aus allen Winkeln zu beleuchten, während gleichzeitig zwei unbedeutende Polizeireporter der Washington Post in aller Stille an der größten politischen Story des Jahres 1972 werkelten – und nicht nur des Jahres 1972. Eine Story, die sich schon zum Zeitpunkt von McGoverns Party zum »Jahrestag« zu einem derart explosiven Skandal ausgeweitet hatte, dass sie sich, wie jetzt schon absehbar ist, für alle Ewigkeit in sämtliche amerikanischen Geschichtsbücher einbrennen wird, die nach 1973 erscheinen.
Einer der bemerkenswertesten Aspekte des Watergate-Skandals ist die Art und Weise, wie die Presse damit umging: Was im Sommer 1972 seitens der Medien als eine der größten Fehleinschätzungen des Jahrhunderts begann, hat sich mittlerweile zu einer Story entwickelt, die in Bezug auf Recherche und Aufmachung an Gründlichkeit und Professionialität zu den herausragenden Beispielen in der Geschichte des amerikanischen Journalismus zählt.
Als ich letzten Monat nach Washington gerauscht kam, um mich mit Steadman zu treffen und das Innenressort wieder zu reaktivieren, rechnete ich damit – beziehungsweise rückblickend betrachtet glaubte ich damit rechnen zu müssen –, dass die News-Meister des Pressekorps der Hauptstadt wie üblich in irgendwelchen eleganten Nischen der Realität meilenweit entfernt vom wirklich relevanten Geschehen in endloses Gelaber verstrickt sein würden und gar nicht mitbekamen, was wirklich los war … so wie damals, als ich während der Vorwahlen in Florida den Sonderzug Ed Muskies bestieg und sämtliche Medienstars des Landes mit Bloody Marys in der Hand herumstanden in der festen Überzeugung, sie seien unterwegs nach Miami mit »dem Kandidaten« … oder als ich am Wahltag mit einem halben Dutzend Großjournalisten im Holiday Inn von Sioux Falls beim Mittagessen saß und hinterher der festen Überzeugung war, dass McGovern auf keinen Fall mit mehr als 10 Prozent Rückstand verlieren würde.
Meine Erfahrungen während des 72er-Wahlkampfs hatten mich nicht gerade mit Ehrfurcht bezüglich der Weisheit des nationalen Pressekorps erfüllt … daher war ich reichlich perplex, als ich in Washington ankam und feststellen musste, dass die Schweinehunde die Watergate-Story bis zum Gehtnichtmehr ausgeschlachtet hatten und nun auch noch in den Eingeweiden
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