Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
wühlten – von »Watergate« mit all seinen vertrackten Details, über ITT, den Fall Vesco, bis zu Nixons Lügen über die Finanzierung seines Strandhauses in San Clemente und dem lange schlummernden »Agnew-Skandal«.
Die Atmosphäre war so sehr am Knistern, dass für einen Gonzo-Journalisten kaum Platz war. Zum erstem Mal, seit ich mich erinnern kann, arbeitete die Maschinerie des Washingtoner Pressekorps auf Hochtouren und schöpfte sein wahrhaft imposantes aber normalerweise schlummerndes Potenzial nahezu voll aus. Die Washington Post hatte ein halbes Dutzend der besten Reporter des Landes darauf angesetzt, in die hintersten Winkel zu kriechen und jeden noch so winzigen Aspekt der Watergate-Story hervorzukramen wie eine Horde Junkies, die ohne Vorwarnung von ihrem Nachschub abgeschnitten wurden und jetzt eine neue Connection finden müssen. Die New York Times , die zu Beginn der Geschichte schwer unter die Räder gekommen war, zog die Topleute aus ihren Redaktionen im ganzen Land in Washington zusammen, um den Karren wieder flottzumachen und den Anfangsvorsprung der Post aufzuholen. In den Hauptstadtredaktionen von Time und Newsweek brach eine fieberhafte Aktivität los, um neue Verbindungen, neue Aspekte, neue Quellen und Hinweise in Zusammenhang mit der Geschichte aufzuspüren, die sich mittlerweile so rasant entwickelte, dass es für absolut niemand mehr möglich war, da noch mitzuhalten … schon gar nicht für die drei (oder vier) großen Fernsehsender, deren gesamte Maschinerie darauf ausgerichtet ist, visuelle Eindrücke/»Action« zu vermitteln und nicht irgendwelche geschickt platzierten Tipps von gesichtslosen Anwälten, die von privaten Telefonanschlüssen aus anrufen und sich dann weigern, ihre Aussagen vor laufenden Kameras zu machen.
Die einzige visuelle »Action« im herkömmlichen Sinne gab es in der Watergate-Geschichte nur ganz am Anfang – als die Einbrecher auf frischer Tat von einem Trupp Zivilpolizisten mit der Waffe im Anschlag gefasst wurden. Und auch das passierte so schnell, dass noch nicht einmal ein Fotograf vor Ort war, geschweige denn ein Fernsehteam.
Die Medienmogule der Nachrichtensender sind nicht sonderlich scharf auf Geschichten, die wochenlange mühsame Recherchearbeit erfordern und kaum Möglichkeiten zum Einsatz von Kameras bieten – vor allem in Zeiten, wenn nahezu jeder Korrespondent von Rang und Namen dafür abgestellt ist, irgendwelche Aspekte eines gerade in vollem Gange tobenden Präsidentschaftswahlkampfs zu beleuchten, und genau das war der Fall, als der Einbruch im Watergate Hotel am 17. Juni stattfand. Die Parteiversammlungen in Miami und das Eagleton-Fiasko sorgten dafür, dass die Watergate-Story den ganzen Sommer über ein Schattendasein fristete. Sowohl die Fernsehanstalten als auch die Zeitungen hatten ihre »ersten Mannschaften« langfristig zum Wahlkampf abkommandiert, sodass sie bei der ersten Anklageerhebung – gegen Liddy, Hunt, McCord und Konsorten – am 15. September gar nicht vor Ort waren. Und am Wahltag im November schien die Watergate-Story schon wieder Schnee von gestern zu sein.
Unter den Journalisten, die auf der Wahlkampfkarawane mitzogen, wurde sie so gut wie gar nicht erwähnt. Ein Einbruch in das Wahlkampfhauptquartier der Demokraten schien relativ unbedeutend im Vergleich zu der »Action« in Miami. Es war eine »Lokalnachricht« (aus Washington), und damit eine Sache der »Lokalredaktion« … und da ich keine Lokalredaktion hatte, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf das Naheliegende.
Außer bei zwei Gelegenheiten, wovon mir die erste der beiden jetzt noch unheimlich erscheint. Am Abend des 17. Juni verbrachte ich mehrere Stunden im Watergate Hotel: Zuerst zog ich von etwa acht bis zehn Uhr im Swimmingpool des Hotels meine Bahnen, und von halb elf bis kurz nach eins saß ich zusammen mit Tom Quinn, damals Sportjournalist bei der mittlerweile eingegangenen Washington Daily News , in der Watergate Bar und trank Tequila.
Währenddessen koordinierten ein paar Etagen über uns in Zimmer 214 Hunt und Liddy per Walkie-Talkie den Einbruch mit dem Ex-FBI-Mann Alfred Baldwin auf seinem mit allen Schikanen ausgestatteten Beobachtungsposten in Zimmer 419 der Howard Johnson’s Motor Lodge auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Virginia Avenue. Jim McCord hatte bereits die Schlösser von zwei Türen in der Hoteltiefgarage genau unterhalb der Bar mit Klebeband präpariert, und es war vermutlich genau zu dem Zeitpunkt, als Quinn und
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