Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

V.300er-Magnum und eine Kugel schwarzen Opiums als Nachspeise schnappte, und dann mit großer Freude in meinem Herzen nach draußen ging, denn ich war stolz, an einem Tag wie diesem ein Amerikaner zu sein. Es fühlte sich an wie ein gottverdammtes Footballspiel , Jann – es war wie im Paradies … Erinnerst du dich noch an die Euphorie, die du empfunden hast, als wir zur Farm gebraust sind und Stanford geschlagen haben? Ja, ungefähr so hat es sich angefühlt.
    Ich schweife ab. Meine Freudenausbrüche werden getrübt von unbarmherzigen Flashbacks und Geistern, die zu widerlich sind, um sie alle aufzuzählen … O nein, frag nicht nach dem Warum. Du hättest Präsident werden können, Jann, dein Weg aber war voller Abzweigungen, und genau daran muss ich denken, wenn ich die geschwungenen Hörner all der wilden Tiere sehe, die über die Hügel jagen, während in der Ferne Gewehrschüsse krachen und dunkelhäutige junge Männer mit blutverschmierten Händen in der Dämmerung umherirren und traurig unsere Namen rufen …
    O Geist, O Verlust, Verlust und Abgang, O Geist, kehre wieder.
    Genau, und so viel also zum Thema Herbst, die Bäume sind krank, die Tiere kommen einem in die Quere, der Präsident ist so schuldig wie immer, und die meisten Tage sind ohnehin zu lang … Also beachte mein Gedicht nicht. Es war von Beginn an falsch. Ich kupferte es von einem frühen Werk von Coleridge ab und versuchte, ihm meinen eigenen Stempel aufzudrücken, aber ich scheiterte.
    Was soll’s? Ich wollte eigentlich gar nicht über den verdammten Herbst sprechen. Ich saß einfach nur hier in der Dämmerung an einem frischen Sonntagmorgen, wartete, dass die Footballspiele anfingen und genehmigte mir eine gottverdammte sehr kleine Pause in diesem Blizzard aus Charakterdarstellern und persönlichen Biografen und kränkelnden Paparazzi , die sich in diesen Tagen in meiner Nähe herumtreiben (sie schlafen jetzt, Gott sei Dank – einige sogar in meinem Bett). Ich saß hier also ganz alleine, und dachte tatsächlich über die guten alten Zeiten nach.
    Wir waren arm, Jann. Aber wir waren glücklich. Denn wir hatten einige Tricks auf Lager. Wir waren klug. Und nicht verrückt, wie sie sagten. (Und sie haben uns so einiges an den Kopf geworfen).
    Haha. Ein Lachen ist nicht ganz billig zu haben in diesen Tagen, stimmt’s? Der einzige Typ, der sich in der Öffentlichkeit zu amüsieren scheint, ist Prince Cromwell, mein gerissener humorloser Nachbar – der, der Schafe klaut und Frauen schlägt wie Mike Tyson.
    Wer weiß schon, warum, Jann. Manche Menschen sind durchgeknallter, als man es sich je vorstellen könnte.
    Du bist einen langen Weg gegangen, angefangen vom blutrünstigen kleinäugigen Nachrichten-Freak, der du in alten Zeiten gewesen bist. Vielleicht solltest du mal etwas anderes als diese verdammten Motorradzeitschriften lesen – sonst werden dir früher oder später noch Haare auf den Handflächen wachsen.
    Denk an meine Worte. Man kann nur so viel Zeit »auf dem Gaspedal« verbringen, sozusagen … Und dann werden die Mächte des Bösen übernehmen. Sei wachsam …
    Ah, aber das ist jetzt eine andere Sache. Wen schert das schon? Letztlich sind wir Profis … Aber unser Problem ist kein professionelles. Nein. Es ist das Problem eines Jeden . Es ist Überall . Die Frage ist unser Wa [vermutlich gemeint: Washington; Anm. d. Ü.]; die Antwort ist unser Schicksal … und die Geschichte, die ich dir dazu erzählen will, ist grauenvoll, Jann.
    Plötzlich wurde ich wach, weinte und lallte und lachte wie ein Irrer über das Gespenst, das mir in meinem Fernseher erschien … Richter Clarence Thomas … Ja, den kannte ich. Aber das ist lange her. Viele Jahre, tatsächlich, aber ich erinnere mich noch sehr lebhaft daran … in der Tat, mich verfolgte das wie ein Golem, Tag und Nacht, viele Jahre lang.
    Es schien ganz normal zu sein damals, einfach eine weitere verrückte, verregnete Nacht da draußen in der Wüste … Was soll’s? Wir waren jünger. Ich und der Richter . Und alle anderen auch … Es waren andere Zeiten. Die Menschen waren freundlich. Wir vertrauten einander. Wahnsinn, du konntest es dir leisten , in diesen Tagen, dich unter wilde Fremde zu mischen – ohne um dein Leben zu fürchten oder um deine Augen oder um deine Organe oder um dein Geld oder sogar darum, für immer im Gefängnis zu landen. Alles war möglich. Die Leute hatten nicht so viel Angst wie heute. Du konntest nackt durch die Gegend laufen, ohne abgeknallt zu