Die Rose der Highlands
Haus. Der Flur war klein, eng und
dunkel, doch das schummrige Licht genügte Lili, um den abweisenden
Gesichtsausdruck ihrer Stieftochter zu erkennen.
»Ich ⦠ich bin hier rein zufällig vorbeigekommen.«
»Und ich brauche Zeit. Ich kann nicht mit dir reden.«
»Aber warum nicht?«, fragte Lili verzweifelt. »Ich leide doch
genauso wie du. Wir könnten uns doch gegenseitig Trost spenden und über alles
reden.«
»Da gibt es nichts zu reden. Deine Tochter hat mir auf perfide Weise
den Mann ausgespannt und â¦Â«
»Glaubst du denn, dass ich darüber glücklich bin, dass dieser
Halunke ihr den Kopf verdreht hat? Dass er sie gegen meinen Willen geheiratet
hat?«
»Herzlichen Glückwunsch!«, unterbrach Isobel sie ungerührt.
»Isobel, versteh doch endlich. Dieser Mann ist ein Verführer, der
nichts Gutes im Schilde führt, der ihr die Zukunft zerstört. Sie wird keine
Ãrztin werden, ja, sie wird nicht einmal die Schule abschlieÃen â¦Â«
»Was willst du von mir? Dass ich deine kleine Prinzessin bedauere?«
»Nein, natürlich nicht. Aber das hätte sie doch nie getan â¦Â«
»Ich verstehe, er ist an allem schuld«, bemerkte Isobel spöttisch.
Sie sieht elend aus, durchfuhr es Lili, schrecklich elend, und sie
konnte sich gerade noch beherrschen, Isobel nicht jene nasse Haarsträhne aus
dem Gesicht zu streichen, die ihr in die Augen hing.
»Ich will doch nur sagen, dass du diesem Halunken nicht nachtrauern
darfst. Denk doch daran, auf welch perfide Weise er dich um dein Geld betrogen
hat. Ich habe inzwischen einen Detektiv auf diese Bank angesetzt. Und stell dir
vor, Hobard & Pinkett ist pleite. Lange schon. Sei doch vernünftig und hilf
mir, Rose aus seinen Klauen zu befreien«, sagte Lili beschwörend.
Sie hielt inne, als sie bemerkte, dass Isobel bei ihren Worten noch
blasser geworden war, als sie es ohnehin schon war.
»Entschuldige, Kleines, ich hätte es dir schonend beibringen sollen,
dass dieser Mann ein Verbrecher ist. Wir sollten schnellstens einen Anwalt
bemühen, damit er ihn anzeigt und hinter Schloss und Riegel bringt. Dann wird
Rose endlich aus ihrem Kleinmädchentraum erwachen und zu uns zurückkommen â¦Â«
Sie unterbrach sich hastig. An der Miene ihrer Stieftochter war unschwer zu
erkennen, dass sie schon wieder nicht die richtigen Worte gefunden hatte.
»Es ist wirklich besser, wenn du jetzt gehst«, entgegnete Isobel
scheinbar ungerührt, während sie auf die Tür deutete. Doch ihre Hände erzählten
etwas anderes. Sie zitterten.
»Isobel, ich brauche dich. Wir haben doch immer alle Schwierigkeiten
gemeistert. Wir beide! Wir werden es doch wohl mit diesem Halunken aufnehmen
können!«, stieà Lili mit letzter Kraft hervor, doch da hatte sich Isobel bereits
an ihr vorbeigedrückt und die Haustür geöffnet.
»Es gibt kein âºWirâ¹ in dieser Sache«, murmelte Isobel und verschwand
wortlos hinter einer Tür, die vom Flur abging.
Wie betäubt blieb Lili noch einen Augenblick in dem engen Flur
stehen, bevor sie in den strömenden Regen hinaustrat.
33
L ili saà in Sibeals
prächtigem Salon auf dem Sofa, trank heiÃen Â
Tee und starrte Löcher in die Luft.
Ihre Freundin betrachtete sie neugierig aus den Augenwinkeln, aber
sie blieb stumm. Es war unübersehbar, dass Lili Zeit brauchte, um sich zu
sammeln. Klatschnass und am ganzen Körper bebend hatte sie vorhin vor ihrer Tür
gestanden. Sibeal hatte sie erst einmal ins Bad geschickt und ihr ein paar
warme Kleidungsstücke geliehen. Anfangs hatte Lili nicht reden können, weil
ihre Zähne vor Kälte aufeinanderschlugen, und nach dem Wechseln der Kleidung
hatte sie nur nach einer Decke verlangt und sich stumm auf das Sofa verzogen.
Verstohlen warf Sibeal einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie hatte
knapp in einer Stunde Dienst in der Suppenküche. Natürlich brannte sie darauf,
vorher zu erfahren, was auf Scatwell Castle geschehen war, denn die
Gerüchteküche brodelte seit Tagen.
»Haben Sie schon gehört, Lady Sibeal, Isobels Verlobter soll die
liebe Rose entführt haben.«
Sibeal hatte die Klatschbase daraufhin angefaucht: »Reden Sie doch
nicht solchen Unsinn!«
Nein, das hatte sie partout nicht glauben wollen, wenngleich es sie
verwunderte, dass sie von Lili seit ihrem Telefonat an Hogmanay nichts mehr
gehört hatte.
Weitere Kostenlose Bücher