Die Rose der Highlands
Misses Munroy. Sie ist in aller Frühe mit den Hunden
losgezogen.«
»Bei dem Wetter?« Lili kräuselte die Stirn. Der Sturm hatte sich
gelegt, aber es nieselte immer noch ohne Pause. Sie trat zum Fenster und warf einen
Blick über das parkähnliche Grundstück. Als wäre alles hinter einem grauen
Schleier verborgen, dachte Lili und zog den Morgenmantel fester zu. Sie
fröstelte und schickte einen Blick nach oben. Die Wolken hingen so tief über
Scatwell Castle, dass man glaubte, sie berühren zu können.
Lili war in der Regel nicht besonders wetterfühlig, aber an diesem
Tag drückten ihr die schweren Wolken aufs Gemüt. Sie fühlte sich rundherum
unwohl. Was am gestrigen Tag zu einem Neuanfang hatte werden sollen, war nun zu
einem einzigen Ãrgernis geraten. Ich bin wohl noch nicht so weit, dachte sie,
als sie das Bellen der beiden Hunde vernahm. Ausgelassen und unbeirrt von dem
Wetter tobten sie über den Rasen.
Lili trat einen Schritt vom Fenster zurück, denn Isobel folgte ihnen
auf dem FuÃ. Sie war kaum zu erkennen in ihrem Wettermantel und mit dem Hut,
den sie sich tief ins Gesicht gezogen hatte.
Lilis erster Impuls war es, ihr entgegenzulaufen und sie in der
Diele zu begrüÃen, doch dann entschied sie sich, es Isobel zu überlassen, ob
sie ihr Gesellschaft leisten wollte oder nicht. Vielleicht war ihr Bedürfnis,
sich auszusprechen, nicht so groà wie das von Lili.
Lili trank erst einmal eine Tasse heiÃen Tee, den Bonnie ihr
inzwischen gebracht hatte.
»Miss Isobel ist zurückgekehrt. Soll ich ihr sagen, dass Sie im
Salon auf sie warten?«
»Ja, das wäre nett«, murmelte Lili und wärmte ihre klammen Finger an
der heiÃen Tasse. Sie brauchte morgens stets ein wenig Zeit, um richtig warm zu
werden, obwohl das prasselnde Kaminfeuer im Salon eine angenehme Wärme
ausstrahlte.
In Gedanken schweifte sie in das eiskalte Zimmer ihrer Mutter in der
Bells Wynd ab, einer dieser ärmlichen Gassen in Edinburgh, in denen die
Wohnungen meist allenfalls schlecht funktionierende Kohleöfen besaÃen. Damals
hatte sie noch geglaubt, die Tochter einer Köchin und eines unbekannten
Schwarzbrenners zu sein. Wie schmerzvoll war es gewesen, zu erfahren, wer ihr
leiblicher Vater wirklich gewesen war. Ein wegen Mordes zu lebenslänglicher
Haft Verurteilter, der in der Festung von Inverness gnädig an Typhus gestorben
war. Der Makenzie, der einen Munroy auf dem Gewissen hatte und dafür büÃen
musste. Der Rächer, der den Munroy für einen heimtückischen Mord gerichtet
hatte. Der Mord, den Lilis Vater begangen hatte, war der Höhepunkt der verbitterten
Feindschaft zwischen den beiden Clans gewesen. Nun gab es keinen Grund zur
Rache mehr, denn sie waren alle tot.
Jetzt gab es nur noch zwei junge Frauen, durch die das Blut beider
Clans gleichermaÃen floss: Isobel und Rose. Sie beide waren zur Hälfte Makenzie
und zur Hälfte Munroy. Lili glaubte noch immer fest daran, dass die
Familienfehde durch die Existenz dieser beiden Menschenkinder auf ewig beendet
sein würde. Durch sie waren die Clans auf ewig in Frieden verbunden.
»Hallo, lass dich nicht stören, ich möchte mir nur einen Tee holen.«
Lili zuckte zusammen. Ein Blick in Isobels Gesicht zeigte ihr, dass ihre
Stieftochter auch keine gute Nacht hinter sich hatte. Ihre Wangen waren zwar
von der Wanderung gerötet, aber sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ein
sicheres Zeichen dafür, dass sie kaum geschlafen hatte.
Lili nahm all ihren Mut zusammen. »Bitte, Isobel, setzt dich zu mir.
Wir haben am Sonntag noch nie getrennt gefrühstückt.«
Zögerlich setzte sich Isobel und blickte an Lili vorbei in die
Ferne.
»Du hast doch recht. Es ist sicher so, wie du glaubst. Für mich kann
sich gar kein Mann ernsthaft interessieren. Mir fehlt deine Eleganz. Ich hätte
ihn nicht an unseren Tisch bitten sollen. Er muss ja von mir denken, dass ich
ihm nachlaufe wie ein â¦Â«
»Schluss mit dem dummen Gerede«, befahl Lili. »Das ist alles nicht
wahr. Du bist von einer ganz besonderen Schönheit. Und wenn einer sich dumm
benommen hat, dann war ich es. Mit meinem Misstrauen habe dir jegliche Freude
zerstört. Natürlich hat Lord Fraser Interesse an dir gezeigt, und zwar bevor du
dein Vermögen erwähnt hast. Wie sollte er ahnen, dass du keine arme Kirchenmaus
bist, als er sich uns als Chauffeur angeboten hat? Und das
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