Die Rose der Highlands
aber es zog sie magisch zu der weiÃen Stute. Vom Kopf her wusste Isobel
genau, dass diese nächtliche Flucht mehr als kindisch war. Die Uhr im Salon
hatte eben gerade kurz vor halb elf angezeigt, und bei diesem Wetter würde sie
nach Strathpeffer sicherlich eine Stunde brauchen. Dann würde sie kurz vor
Mitternacht dort, bei ihm, eintreffen. Das ist doch Wahnsinn, ging es ihr durch
den Kopf. Na und?, fügte sie in Gedanken trotzig hinzu.
Una schien hocherfreut, dass sie noch einen unerwarteten Ausritt
bekam. Und so trabte Isobel mit ihr wenig später in die unwirtliche Nacht
hinaus. Sie konnte nur froh sein, dass der Mond ihr den Weg am River Conon
entlang leuchtete. Sie überlegte, ob sie durch den Wald oder über Marybank und
dann entlang der StraÃe reiten sollte. In diesem Punkt siegte ihr Verstand, und
sie entschied sich für den längeren, aber bekannten Weg.
Während Una mit schlafwandlerischer Sicherheit zwischen dem River
Conon auf der einen und den Wäldern, die zur Hochebene hinaufführten, auf der
anderen Seite entlanggaloppierte, verfiel Isobel wieder in trübsinniges Grübeln.
Es hatte ihr schrecklich wehgetan, Lili so abfällig über ihren Vater reden zu
hören. Deutlicher hätte sie ihr kaum zeigen können, dass sie Rose natürlich
lieber hatte als sie. Rose, die Tochter ihres heiÃgeliebten Dusten. Er war, und
das stand auch für Isobel auÃer Frage, ein wunderbarer Mann gewesen.
SchlieÃlich hatte er sie wie ein Vater aufgezogen und ihr jeden Wunsch erfüllt.
Er hatte ihr nie das Gefühl gegeben, dass er sie weniger liebte als die kleine
Rose. Isobel war damals sogar hocherfreut gewesen, als man ihr verkündet hatte,
sie bekäme ein Geschwisterchen. Natürlich waren sie alle völlig aus dem
Häuschen gewesen, als dieses hübsche Ding auf die Welt gekommen war. Wenn
Isobel ehrlich war, hatten weder Lili noch Dusten ihr, der damals
Zwölfjährigen, das Gefühl gegeben, das fünfte Rad am Wagen zu sein.
Während sich Una Marybank näherte, dachte Isobel an die Ohrfeige,
und die Schamesröte stieg ihr in die Wangen. Wie konnte Lili es wagen, ihr das
anzutun? Ihr, einer erwachsenen Frau, die im Begriff stand, in wenigen Tagen
ihre Verlobung bekanntzugeben?
Sie waren jetzt bei der Brücke über den Conon angekommen. Was danach
kam, war ein kleines Stückchen durch den Wald. Sie hatte zunächst Sorge, dass
der Mond das Dach aus den Kronen der Bäume nicht würde durchdringen können,
doch sein fahles Licht leuchtete ihr wie eine weiÃliche Laterne den Weg.
Von allen Seiten ertönten die Geräusche des Waldes. Der Wind
rauschte durch die Baumkronen, das Unterholz knackte zu beiden Seiten, weil das
Wild nachts unterwegs war, und die Wintervögel krächzten ihre Lieder.
Doch das alles konnte Isobel nicht schrecken. Denn viel schlimmer
war es, wenn der Wald schwieg. So wie an jenem Tag vor vielen Jahren, als sie
ihn allein durchquert hatte, um ihre Mutter zu suchen. Im Fluss hatte sie sie
schlieÃlich gefunden â¦
Isobel fröstelte. Daran durfte sie nicht denken. Und schon gar
nicht, wenn sie mitten in der Nacht durch den Wald ritt. Um die Gespenster der
Vergangenheit zu verjagen, stimmte sie ein Weihnachtslied an. »Hark the Herald
Angels sing«, schallte es durch den Wald, und Isobel fühlte sich gleich viel
besser. Ihre Stimme hatte die Schatten der Angst verjagt.
Trotzdem war sie erleichtert, als sie den Wald verlieà und weiter
über Felder reiten konnte, bis der Weg nach Strathpeffer sie rechterhand einen
Berg hinaufführte. Auch hier ging es zu beiden Seiten in den tiefen Wald
hinein, aber sie ritt dazwischen auf einer StraÃe, auf der auch die Autos
Strathpeffer erreichten. Dieser Weg ging direkt in die HauptstraÃe des einst
blühenden Kurortes über. Diese wie auch der Platz, auf dem der Trinkpavillon
stand, waren wie leer gefegt. Und nur noch hinter wenigen Fenstern waren
Lichter zu erkennen. Strathpeffer hatte sich in dieser Weihnachtsnacht bereits
schlafen gelegt. Sogar die prächtige Hotelfassade aus der edwardianischen
Epoche wirkte nicht mehr so anheimelnd wie neulich, als Isobel mit Lili hier
gewesen war. Auch hier brannte nur noch hinter wenigen Fenstern Licht.
Kein Wunder, dachte Isobel, zu den Festtagen blieben die meisten
Menschen zu Hause, und die Zeiten, dass man zum Feiern nach Strathpeffer
reiste, waren lange vorüber.
Isobel lieà Una
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