Die Rose der Highlands
helfen. Dabei hätten
die beiden gut und gern auf die Hilfe der Hausherrin verzichten können, denn
diese brachte in ihrer nervösen Zerstreutheit alles durcheinander.
Bonnie ahnte, warum. Sie wollte sich sicher von der üblen Stimmung
im Haus ablenken. Das Geschrei aus dem Salon war bis in den Flur gedrungen, wo
Bonnie gerade saubergemacht hatte. Sie hegte keinen Zweifel daran, dass auf
Scatwell Castle dicke Luft herrschte. Es war schlieÃlich nicht zu überhören,
dass Misses Munroy alle paar Minuten an Roses Zimmertür klopfte und ihre
Tochter anflehte, aufzumachen. Vergeblich. »Lasst mich alle in Ruhe!«, schrie
sie jedes Mal so laut, dass es durch das ganze Haus schallte.
Kopfschüttelnd beobachtete Bonnie, wie Misses Munroy gerade tiefe
Teller eindeckte. Völlig blödsinnig, wenn man bedachte, dass die Vorsuppe
bereits in der Küche in die Teller gefüllt wurde.
Aber sollte sie es ihr sagen? Misses Munroy sah so schrecklich
unglücklich aus. Fiona hätte sicher kein Blatt vor den Mund genommen, aber sie
kannte Misses Munroy schlieÃlich auch schon eine halbe Ewigkeit. Ob Bonnie die
Köchin zu Hilfe holen sollte? Die würde sich bedanken, war sie doch voll und
ganz mit der Zubereitung des Haggis beschäftigt, das in diesem Haus streng nach
GroÃmutter Mhairies Rezept hergestellt wurde.
Bonnie wollte sich gerade ein Herz fassen, als Lili selbst bemerkte,
dass sie eine schlechte Hilfe war. Da fiel ihr Blick auf den Flügel.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich ein wenig spiele? Ich habe das
Gefühl, ich mache mehr Arbeit, als dass ich eine Hilfe bin«, bemerkte sie
bedauernd.
»Das können Sie wohl laut sagen!«, entfuhr es Bonnie und sie schlug
sich, kaum dass sie den Satz ausgesprochen hatte, die Hand vor den Mund.
Lili aber lachte gequält und steuerte auf den Flügel zu. Sie stimmte
ein Weihnachtslied an und dann noch eines.
Das Hausmädchen trat schüchtern an den Flügel heran.
»Sing mit«, forderte Lili sie auf.
Das lieà sie sich nicht zweimal sagen, und schlieÃlich schmetterten
Bonnie und Lili gemeinsam aus vollen Kehlen »Auld Lang Syne«, das Lied, das sie
heute um Mitternacht alle gemeinsam singen würden.
Lili warf Bonnie einen dankbaren Blick zu, und ihre Verzweiflung
lieà langsam nach. Angesichts des anstehenden Festes würden sich ihre Töchter
bestimmt wieder vertragen. Und Isobel hatte Lili versprochen, dass sie sich bei
Rose entschuldigen würde. Lili war plötzlich sicher, das Rose noch vor
Eintreffen der ersten Gäste aus ihrem Schmollwinkel kriechen würde. Sie war
viel zu lebenslustig, um auf ihr Fest zu verzichten!
Lili griff noch kräftiger in die Tasten, und endlich kam in ihrem
Herzen Feierstimmung auf. Sentimentale Erinnerungen flogen sie an wie die
Motten das Licht: Hogmanay vor zwei Jahren. Die Familie allein um den Tisch in
Little Scatwell vor dem dampfenden Haggis, der Fiona beinahe perfekt gelungen
war, Lili am Klavier, die anderen drei darum gruppiert, aus vollen Herzen
singend: Auld Lang Syne. Traditionell wurde damit der Verstorbenen des
vergangenen Jahres gedacht. Noch ahnte keiner, was die nahe Zukunft bringen
würde. Die mysteriöse Welle der Todesfälle sollte sie erst im neuen Jahr
überrollen â¦
Lili hörte nicht auf zu spielen. Im Gegenteil, sie legte ihre
geballten Emotionen in jeden Ton. Was würde sie darum geben, wenn Dusten jetzt
lässig an das Klavier gelehnt dastehen würde? Sie stellte sich vor, wie er in
den Gesang mit seiner unvergleichlich rauen und wohlklingenden Stimme
einstimmen und garantiert einen Halbton danebenliegen würde. Und sie sah sein
Gesicht vor sich ⦠aber ⦠das war doch � Vor Schreck hörte sie zu spielen auf.
Das war nicht Dustens Gesicht, sondern das von Liam Brodie, das so unvermittelt
vor ihrem inneren Auge aufgetaucht war.
Bonnie war wieder an ihre Arbeit zurückgekehrt und blickte sie nun
verwundert an.
Lili erwachte erst aus ihren Gedanken, als Bonnie den Salon verlieÃ
und die Tür leise hinter sich zuzog. »Das kann doch nicht sein«, murmelte sie.
»Das darf nicht sein«, fügte sie entschieden hinzu. Doch es nützte nichts. Liam
Brodie hatte es irgendwie geschafft, sich in ihr Herz zu schmuggeln. Wie gut,
dass ich ihn vergrault habe, versuchte sie sich einzureden. Und doch hatte sie
das Bedürfnis, sich wenigstens mit einem Brief bei ihm zu entschuldigen.
Weitere Kostenlose Bücher