Die Rose des Propheten 1 - Das Buch der Götter
stechenden, peitschenden Sand geschützt war, und taumelte aus dem Zelt, um die Seile wieder festzuzurren.
Sofort packten ihn die Ifrite und wirbelten ihn herum, bis er nicht mehr wußte, wo oben und unten war. Sie jagten stürmische Winde auf ihn und ließen den Scheich in einem irren Tanz durch das ganze Lager taumeln. Der Scheich wurde gegen Zelte geworfen, in Gräben geschleudert und von Sandwehen überschüttet. Orientierungslos stolperte Majiid umher, denn der Sand in seinen Augen hatte ihn fast blind gemacht, und er konnte kaum noch atmen. Und wieder wurde er von den Füßen gerissen. Die Ifrite ergriffen ihn, wirbelten ihn kreiselnd herum und rollten ihn schließlich kopfüber auf den steinigen, rauhen Boden, bis er schmerzhaft gegen eine Palme prallte. Die Palme wurde vom Sturm so weit heruntergezogen, daß ihre Wedel den Boden in Ehrfurcht vor dem Gott der Wüste küßten.
Majiid rieb sich den Sand aus den Augen, blinzelte nach oben und stöhnte vor Schmerz. Die Ifrite türmten sich vor ihm auf und wirbelten so schnell, daß dem Scheich schon beim bloßen Hinschauen schwindelig wurde. Ihre gewaltigen Hände hielten die Überreste von Zelten. Als sie sich über ihn beugten, zuckten kalte Blitze aus ihren Augen.
Einen Augenblick flaute der Sturm ab, als ob die Ifrite für kurze Zeit den Atem anhielten. Majiid stöhnte erneut. Bei seinem wilden Tanz durch das Lager hatte er sich einige Rippen gebrochen und sich wahrscheinlich auch, als er zuletzt in den Graben fiel, den Fuß verstaucht. Wie jeder schlachterfahrene Kriegsveteran vermochte er unüberwindbare Schwierigkeiten zu erkennen, wenn er ihnen begegnete.
Man konnte einfach nicht gegen einen Gott kämpfen.
Scheich Majiid al Fakhar fluchte. In ohnmächtiger Wut ballte er die Faust und schlug in den Sand. Dann hob er den Kopf und schaute grimmig zu den grinsenden Ifriten hinauf.
»Sond!« brüllte er, und sein Ruf war überall im Lager deutlich zu vernehmen. »Bringe mir meinen Sohn!«
4
Die Wüstenbewohner aus Tara-kan nannten ihn schlicht ›Tel‹, was soviel wie ›Hügel‹ bedeutete, obwohl die Kartenzeichner des Herrschers dem Felsen, der so unerwartet und unerklärlich im Zentrum der Pagrah-Wüste emporragte, zweifellos einen phantasievolleren Namen gegeben hatten. Die Nomaden aber waren ein aufrechtes und wortkarges Volk, das in der rauhen Umgebung gelernt hatte, mit allen Dingen, selbst dem eigenen Atem, sparsam umzugehen. So konnten sie auch keinen besonderen Nutzen darin erkennen, die Dinge anders zu nennen als das, was sie waren. Es war ein Hügel, also nannten sie ihn Hügel.
Als höchste Erhebung im Umkreis etlicher Tagesritte und im Herzen der Wüste gelegen, bot sich der Tel als der herausragende Orientierungspunkt an. Man nutzte ihn zur Bestimmung der Entfernungen – dieser oder jener Brunnen befand sich drei Tagesritte vom Tel entfernt, der Sonnenamboß lag zwei Tagesritte östlich vom Tel, die Stadt Kich einen ganzen Wochenritt westlich von ihm, und so weiter. Tatsächlich lagen der Tel und die Oase an seinem Fuß inmitten einer endlosen Weite, mindestens zwei Tagesritte von jedem anderen Ort entfernt, aber er war so bemerkenswert, daß sich gleich zwei Nomadenstämme fanden, die ihre Zelte an seinen Hängen aufgeschlagen hatten, der eine östlich und der andere westlich des Tel.
In südlicher Richtung stand ein großes Festzelt, das gleichweit von beiden Stammeslagern entfernt lag. Das Zelt maß in der Länge sieben und in der Breite drei Ruten und war aus langen Baumwollbahnen zusammengenäht – Bahnen, von denen man vermuten konnte, daß sie aus zwei verschiedenen Quellen stammten, da ihre Farben in schrillem Kontrast aufeinanderstießen, zum einen dunkles, ruhiges Karmesinrot, zum anderen prächtiges, feuriges Orange. An jedem Ende des Zelts flatterte eine Stammesfahne im Wüstenwind, die Bairaq, die eine karmesinrot, die andere orange.
Mehrere Blutflecken färbten den Boden in der Mitte des Festzelts. Das mochte vielleicht eine Erklärung dafür sein, daß das Zelt an den Enden stabil wirkte, dagegen um die mittleren Hauptstangen herum einen etwas schwankenden und wackligen Eindruck erweckte, als wären die Männer der beiden Stämme während des Aufbaus von irgend etwas abgelenkt worden.
Vielleicht waren es auch eben diese Blutflecken, die die aasfressenden Vögel herbeigelockt hatten, welche in ungewöhnlich großer Anzahl über dem riesigen Zelt ihre Kreise zogen. Vielleicht wurden sie aber auch einfach nur
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