Die Rose des Propheten 1 - Das Buch der Götter
von den Menschen angezogen, die erstmalig in der Geschichte so zahlreich um die Oase herum lagerten. Jedenfalls schwebten über dem Himmel des Tel die Geier, deren Schwingen sich dunkel gegen das goldene Zwielicht abhob. Und ihr Schatten fiel auf das große Zelt – ein schlechtes Omen für einen Hochzeitstag.
Dennoch bemerkten weder Braut noch Bräutigam diese Unheil verheißenden Zeichen, denn der Bräutigam hatte den Tag damit verbracht, sich mit Kumys, gegorener Stutenmilch, vollaufen zu lassen. Gegen Abend war er dann dermaßen betrunken, daß er Himmel und Erde kaum noch voneinander unterscheiden konnte und erst recht nicht die dürren Vögel bemerkte, die ihre Flügel in gieriger Erwartung über seinem Kopf zusammenschlugen. Die Braut war für die Feierlichkeiten mit einem Paranja tief verschleiert, der aus feinster weißer Seide gewebt und mit goldenen Fäden durchwirkt war. Man konnte sogar sagen, daß sie über alle Maßen verschleiert war, pflegte man doch bei dem Volk der Braut vor der Hochzeitszeremonie gerade nicht die Augen zu verbinden.
Und es war auch nicht allgemeine Sitte, ihre Handgelenke mit Schafslederriemen zu fesseln und sie von ihrem Vater, und seinen stärksten Männern anstelle ihrer Mutter, ihrer Schwestern und der anderen Frauen des Harems zum Festzelt zu eskortieren. Die Mutter der Braut war tot, sie hatte auch keine Schwestern, und die anderen Frauen ihres Vaters blieben in ihrem Zelt versteckt, das von Wächtern umstellt war, wie man es tat, wenn ein Überfall drohte.
Keine Musik begleitete den feierlichen Zug der Braut von ihrem Lager zum Hochzeitszelt. Weder die Klänge der Dutar noch das Rasseln der Tamburine oder das Klagen der Surnai waren zu hören. Die Prozession vollzog sich zum größten Teil in völliger Stille, die nur von den Flüchen und Verwünschungen der Männer unterbrochen wurde, die dafür verantwortlich waren, die aufgebrachte Braut zum Festzelt zu schaffen. Denn die Braut ließ keine Gelegenheit ungenutzt, gegen die Schienbeine ihrer Begleiter zu treten.
Schließlich wurde die immer noch uneinsichtige Braut in das grellbunte Hochzeitszelt hineingezerrt. Hier wurde sie von der Eskorte ihrem Vater übergeben, dessen einziger Kommentar bei Empfang seiner Tochter lautete: »Paßt auf, daß sie kein Messer in die Finger bekommt!«
Für die Begleiter des Bräutigams lief die Prozession durch das Lager bei weitem nicht so schmerzhaft ab, weil sich die meisten Männer im gleichen Zustand trunkener Hochstimmung befanden wie der zukünftige Gemahl. Sein Dschinn Pukah hatte bereits die Besinnung verloren. Mehrere der Aksakal, der Stammesältesten, waren auf Befehl Scheich Majiids nüchtern geblieben, da der Bräutigam sonst nie auf seiner Hochzeit eingetroffen wäre. Dieser kleine Umstand war der vom Alkohol bereits umnebelten Aufmerksamkeit des Kalifen und seiner Spahis entgangen, die in ihrem Rausch glorreiche Überfälle wiedererstehen ließen.
Gegen Aseur, als die Wüstensonne hinter dem weit entfernt gelegenen Vorgebirge versank, wurde der Bräutigam auf die Füße gestellt und von den Gefährten, die sich noch auf den eigenen Beinen halten konnten, in das Festzelt geschleppt.
Im Zeltinnern empfing der Vater des Bräutigams seinen Sohn. Beim Anblick Majiids verzog sich das Gesicht Khardans zu einem Grinsen. Er breitete die Arme aus, taumelte vorwärts, umschlang mit seinen starken Armen die Schultern seines Vaters und rülpste.
»Schafft ihn in die Mitte des Zelts«, befahl der Scheich, wobei er dem ungewöhnlich finster und furchterregend ausschauenden Sond, der in der Nähe des mittleren Zeltpfostens stand, einen nervösen Seitenblick zuwarf.
Die Aksakal kamen ihrer Aufgabe nach. Ohne weiteres Zeremoniell wurde Khardan al Fakhar, Kalif seines Stammes, zum Mittelpfosten geschoben und gezogen, wo er schwankend zu stehen kam. Im Rücken des Prinzen drängten sich seine betrunkenen Freunde durch die Menge und nahmen auf der rechten Seite des Zelts ihren Platz ein. Sie setzten sich nicht nieder, wie es Brauch war, sondern blieben stehen und starrten der Eskorte der Braut auf der linken Seite des Zeltes unheilvoll entgegen.
Der Anblick der Schafhirten ernüchterte die meisten Spahis ungemein. Das Gelächter, die derben Witze und Prahlereien über die Heldentaten des Bräutigams im Hochzeitsbett erstarben den bärtigen Kriegern auf den Lippen, die häufig noch vom weißen Schaum des Kumys bedeckt waren. Die bis an die Zähne bewaffneten Akar und Hrana fühlten nach
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