Die Rose des Propheten 1 - Das Buch der Götter
Schrecken keuchend, wand Nedjma sich in seinem Griff. »Komm schon, hör auf zu kämpfen. Ist das der Dank, den ich für mein kleines Geschenk erhalte?«
Da lockerte sich sein Griff um die zierliche Gestalt ein wenig, weil er sich über sie beugte, um sie zu küssen, und ihr gelang es, sich mit einer geschmeidigen Bewegung zu befreien. In dem Handgemenge hatte sie das goldene Ei fallen lassen. Es lag nun zwischen ihnen auf den Fliesen des Gartens und glänzte unbeachtet im Mondlicht. So gut sie konnte, raffte sie die zerrissene Kleidung zusammen – ihre Gestalt leuchtete auf und zerfloß zu einer anmutig aufwirbelnden Rauchsäule. Nedjmas Augen blitzten vor Verachtung und Haß.
»Du hast die Unantastbarkeit des Serails verletzt und mir Gewalt angetan!« rief sie mit vor Angst und Wut sich überschlagender Stimme. »Ich werde die Wachen meines Gebieters wecken! Dafür, daß du berührt hast, was dir nicht gehört, sollen deine Hände abfaulen…«
»Nein, meine Dame«, lachte Kaug. Er griff hinunter, hob das Ei auf und hielt es vor ihr hin. »Du hast mein Geschenk angenommen.«
Nedjmas Augen, die als einziges durch den wogenden Rauch erkennbar waren, starrten voller Schrecken auf den goldenen und mit Juwelen besetzten Gegenstand – ein Gegenstand, der von sterblichen Händen in der Welt der Sterblichen angefertigt worden war. Sie stöhnte auf, versuchte zu fliehen, und der Rauch, aus dem ihr Körper bestand, wehte durch die wohlriechende Luft des Gartens – der Ifrit aber sah unbesorgt zu. Er löste den Mechanismus aus und öffnete das Ei, wodurch der singende Vogel der Eierschale entstieg.
Als der Ifrit jetzt bannende Worte sprach, waberte der Rauch in der Luft und kämpfte gegen die Kraft an, die ihn unerbittlich in das Ei zog. Nedjmas Widerstand aber war vergeblich. Kaug war einfach zu mächtig, als daß die Dschinnia hoffen durfte, mit ihrer Magie gegen die des Ifrit zu bestehen.
Langsam wurde Nedjmas Wesen in das Ei gezogen. Ihr verzweifeltes Wehklagen trieb ungehört durch den Garten, bis es schließlich im Nachtwind verwehte.
3
Mit klopfendem Herzen kletterte Sond über die Gartenmauer. Sein Herz schlug im Rhythmus der Botschaft, die er erhalten hatte: »Komm zu mir, komm zu mir…«
Noch nie hatte Nedjma nach ihm gesandt. Bisher hatte sie ihn nur neckend auf die Folter gespannt, bis sie ihm schließlich beim letzten Mal einen einzigen Kuß gewährte, den er ihr bei einer spielerischen Rangelei abringen konnte. Nach dem Kuß lag ein Ausdruck in ihren Augen – ein Ausdruck, den der erfahrene Sond kannte: Sie sehnte sich nach mehr. Daß sie nun nach ihm geschickt hatte, konnte nur eins bedeuten: Er hatte sie erobert.
Heute nacht sollte Nedjma die Seine werden.
An ihrem Treffpunkt, der am Teich verborgen zwischen den Gardenien lag, hielt Sond nach seiner Liebsten Ausschau. Doch sie war nicht da. Er seufzte voller Verlangen. Die listige Huri – neckte sie ihn doch bis zum letzten Augenblick. Zögernd schritt er auf den vielfarbigen Marmorplatten um den Teich und rief ihren Namen.
»Nedjma!«
»Komm her, Geliebter. Aber halte dich verborgen. Tritt nicht ins Mondlicht«, antwortete eine süße Stimme.
Sonds Herz pochte. Das Blut stieg ihm zu Kopf. Im Geiste sah er sie schon vor sich, wie sie ihn in einer dunklen, duftgeschwängerten Laube erwartete, züchtig ummantelt von den Schatten der Nacht, aber zitternd vor Verlangen, sich ihm hinzugeben. Während Sond dem Klang der Stimme folgte, brach er durch Sträucher und Büsche, ohne auf den Lärm zu achten, den er dabei verursachte – er dachte nur noch an die Erlösung seiner schmerzenden Sehnsucht durch holde Seligkeit.
In einem verborgenen Winkel, weit entfernt vom Hauptgebäude und umringt von Pinien, erhaschte Sond einen flüchtigen Blick auf bloße Haut, die im Mondlicht aufleuchtete. Er stürzte durch ein Rosendickicht, streckte die Hände aus, riß die Gestalt in seine Arme…
… und drückte sein Gesicht an eine behaarte Brust.
Tiefes Gelächter dröhnte von oben herab. Verärgert und gedemütigt, stolperte Sond zurück. Als er emporschaute, sah er das grausame, grobschlächtige Gesicht eines Ifrits.
»Kaug!« Sond starrte den Ifrit mit verhaltener Wut an, wußte er doch, wie stark Kaug war. Wenn es ihm gefiel, konnte er Sond zu einem Ball zusammenrollen und vom Himmel hinabfallen lassen. »Weißt du eigentlich, wo du dich hier befindest, mein Freund?« Sond setzte eine Miene auf, als ob er sich Sorgen machte. »Du bist irrtümlich
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