Die Rose des Propheten 1 - Das Buch der Götter
unruhigen Schlaf auf. Mit der Schnelligkeit einer zustoßenden Schlange griff sie nach dem Dolch, doch Khardan war schneller. Fest schloß sich seine Hand um ihr Handgelenk.
»Den brauchst du jetzt nicht! Du wirst im Zelt deines Vaters erwartet. Ich bin nur gekommen, um dir das auszurichten. Wir müssen über das, was geschehen ist, sprechen.«
Khardan kniete im Schein einer brennenden Öllampe neben dem Bett. Noch hielt er Zohras Handgelenk umfaßt, bis er spürte, daß ihr Widerstand nachgelassen und sie ihn verstanden hatte. Eindringlich blickte er in das erregte Gesicht seiner Frau; ihre sonst so glühenden schwarzen Augen hatten durch den Schlaf und die Verwirrung an Schärfe verloren – in ihren unergründlichen Tiefen, unter der verhüllenden Pracht ihrer schwarzen Haare, entdeckte er den Keim der Furcht. Er ahnte, was in ihr vorging: Schande, Scheidung… Er lächelte bitter.
»Ist es schon Morgen?« Zohra entwand sich Khardans Griff und zog die Schaffelldecke fester um sich. »Weshalb werde ich gerufen?«
»Wir haben noch zwei Stunden bis Sonnenaufgang«, erwiderte Khardan müde und rieb sich die Augen. Er erhob sich und kehrte ihr den Rücken zu – um scheinbar auf ihr Schamgefühl Rücksicht zu nehmen. Doch in Wirklichkeit war er darum bemüht, die Weichheit ihres Gesichts im Schlaf, die Schatten ihrer langen Wimpern auf den Wangen und nicht zuletzt den Hauch von Jasminduft, der von ihr ausging, zu vergessen.
»Wenn du dich endlich ankleidest und in das Zelt deines Vaters begibst, wirst du selbst herausfinden, warum man dich gerufen hat. Ich bin einen ganzen Tag und eine Nacht ohne Unterbrechung geritten, habe seither nichts gegessen und bin nun am Ende meiner Kräfte. Ich will jetzt nicht mit dir streiten oder dich zwingen, wenn du nicht freiwillig kommen willst. Also, Frau, tu, was du für richtig hältst.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Zelt. Dabei versuchte er, sich voller Genugtuung den Aufruhr vorzustellen, der in ihrer zarten Brust toben mußte.
Wenn Khardan gewußt hätte, wie sehr seine rätselhafte und unheilverkündende Aufforderung zu dieser finsteren Stunde vor Sonnenaufgang seine Frau quälte, hätte er sich mehr als reichlich entschädigt gefühlt – entschädigt für den Dolch, der ihm vier Nächte zuvor ins Bein gestoßen worden war.
Nachdem ihr Gatte gegangen war, sank Zohra in die Decken zurück, die sie nun als kalt und unbehaglich empfand. Der Überschwang von Gefühlen machte sie ganz krank vor Wut.
Die drei Tage währende Gastfreundschaft war für alle Beteiligten unerträglich, doch für Zohra eine wahre Folter gewesen. Da sie die Angewohnheit hatte, ihre Sorgen in einem reißenden Strudel von Betriebsamkeit zu ertränken, hielt sie nichts davon, ihre Taten zu überdenken oder in Frage zu stellen. Doch die drei Tage selbstverschuldeter Zurückgezogenheit hatten ihr reichlich Gelegenheit zum Nachdenken verschafft. So war ihr die Ungeheuerlichkeit ihres Verbrechens bewußt geworden. Noch schlimmer aber erging es ihr, wenn sie an die möglichen Folgen dachte.
Die Familie war bei ihnen hochangesehen und heilig, da von ihr das Überleben des Stammes abhing. Eine Scheidung oder ›das Verstoßen der Ehefrau‹ galt daher als große Schande und wurde nur bei schlimmsten Vergehen erwogen. Eine verstoßene Frau konnte zwar in das Zelt des Vaters zurückgebracht werden, galt dann jedoch als entehrt. Ihre Kinder hatten weder Rang noch Namen innerhalb des Stammes, und oftmals erging es ihnen sogar schlechter als den Leibeigenen auf Zeit, denn diese durften zumindest darauf hoffen, nach dem geleisteten Dienst freigelassen zu werden.
Darüber hinaus wurde eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war, manchmal auf die eine oder andere Weise gräßlich entstellt – durch eine aufgeschlitzte Nase oder ein von Narben verunstaltetes Gesicht –, denn sie sollte niemals wieder einen Mann in Versuchung führen können. Wurde ein Mann hingegen dabei ertappt, wie er der Frau eines anderen Gewalt antat, so erging es ihm kaum besser: Er wurde aus dem Stamm verstoßen und sein gesamter Besitz einbehalten, aber seine Frauen und Kinder hatten die Möglichkeit, bei einer anderen Familie des Stammes Aufnahme zu finden oder in Ehren zu ihren Eltern zurückzukehren.
Sorgte sich aber ein Mann nicht angemessen um Frau und Kinder oder mißhandelte er sie gar, so war es seiner Frau gestattet, sich von ihm scheiden zu lassen. Ein Mann durfte sich von seiner Frau trennen, wenn sie
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