Die Rose des Propheten 2 - Das Buch Quar
mußte eine andere Lösung geben!
Das Gesicht des Jungen hatte seine erschreckende Gleichgültigkeit wiedererlangt. Da kauerte er auf dem Boden, die Hände krampfte er fest zu Fäusten, als ob er damit das letzte bißchen Mut, daß ihm noch geblieben war, festhalten wollte. Er sah Khardan mit leeren Augen an und erwartete den Tod mit der Ruhe der Verzweiflung. Das zu sehen war furchtbar für den Kalifen.
Khardans Hände, die den Säbelgriff umklammerten, wurden feucht. Zwar hatte er schon oft Männer getötet, aber keinen, der vor ihm kniete, keinen, der völlig wehrlos war. Dieser Gedanke verwirrte den Kalifen, aber er hatte keine andere Wahl. Nervös bewegte er sich hin und her, als suche er einen günstigeren Stand, um den tödlichen Schlag auszuführen. Ratlos sah sich Khardan kurz im Lager um.
Eine Bewegung im Schatten der Zelte erregte seine Aufmerksamkeit. Es war Zohra, die sich leise im Zwielicht herantastete. Ihr Mund formte ein Wort, während sie sich gleichzeitig mehrmals an die Stirn schlug, als ob sie nicht ganz richtig im Kopf wäre.
»Verrückt!«
Khardan starrte sie an. Wie konnte sie von seinem inneren Zwiespalt wissen? Sie war ihm doch noch immer fremd. Warum sollte sie sich in irgendeiner Weise um den Jungen kümmern? Doch das alles spielte im Augenblick keine Rolle, beschloß der Kalif. Er hatte seine Antwort erhalten.
Er warf dem versammelten Stamm einen finsteren Blick zu, als er den Säbel senkte. »Gibt Akhran nicht jedem das Recht, etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen? Will das jemand in Frage stellen?«
Ein Gemurmel erhob sich, Saiyad knurrte unverständliche Worte vor sich hin, aber niemand äußerte sich laut.
Khardan wandte sich wieder dem Jungen zu und sah ihn streng an. »Du darfst sprechen. Sage mir, warum du das getan hast.«
Der junge Mann gab keine Antwort.
Khardan unterdrückte einen Seufzer. Irgendwie mußte er ihn zum Sprechen bringen.
»Kannst du mir eine Antwort geben?« fragte er plötzlich. »Oder bist du stumm?«
Schwach, als verlangte es ihn nur noch nach Schlaf, schüttelte der junge Mann den Kopf.
»Nach deinem Aussehen zu urteilen, stammst du nicht aus diesem Land«, fuhr Khardan geduldig fort, in der Hoffnung den Jungen zu einer Antwort zu bewegen.
»Aber du verstehst unsere Sprache. Das habe ich dir angesehen. Du hast verstanden, daß Saiyad damit drohte, dich zu töten.«
Der Junge schluckte. »Ich… ich verstehe«, sagte er mit einer Stimme, die wie das Spiel einer Flöte klang. Es waren die ersten Worte, die er nach der Rettung durch Khardan gesprochen hatte. Leere Augen starrten den Kalifen an. »Warum die Fragen?« fuhr der Junge schwach und gleichgültig fort. »Bringt es jetzt zu Ende.«
»Verdammt noch mal, Junge! Zwinge mich nicht dazu, dich zu töten!« zischte Khardan eindringlich.
Erschrocken sah der junge Mann auf, als erwache er aus einem schrecklichen Traum, und blinzelte Khardan geblendet an.
Khardan trat direkt vor den Jungen, griff dessen Kinn und drehte das Gesicht grob ins Licht. »Du hast ja noch gar keinen Bart.« Mit dem Säbel zerteilte er das Hemd. »Und keine Haare auf der Brust.«
»So… ist es… bei den Männern… meines Landes«, sagte der Junge gepreßt.
»Ist es bei den Männern deines Landes auch üblich, sich wie Frauen zu kleiden?«
Der junge Mann gab keine Antwort, senkte den Kopf und errötete vor Scham.
»Was hast du in dem Land deiner Heimat getan?« bedrängte ihn Khardan.
»Ich… ich war ein Hexer – ein ›Zauberer‹ in eurer Sprache.«
Khardan entspannte sich. Hinter sich vernahm er erregtes Geflüster – und Erstaunen.
»Wo ist dieses Land?« fuhr Khardan fort und betete zu Hazrat Akhran, daß er ihm Weisheit und auch ein wenig Glück schenken möge.
Der Gott erhörte seine Gebete! Vielleicht war es auch irgendein anderer Gott.
»Hinter dem Hurn-Meer«, murmelte der Junge.
»Was?« Khardan ergriff grob das Kinn des Jungen und hob dessen Kopf. »Wiederhole deine Worte! Alle sollen es hören können.«
Verzweifelt schrie der Junge: »Hinter dem Hurn-Meer!«
Mit einem grimmigen Lächeln stieß Khardan den jungen Mann schroff von sich. Der Kalif wandte sich wieder seinem Stamm zu.
»Da, habt ihr es alle gehört? Er gibt vor, ein Zauberer zu sein! Jeder weiß, daß nur Frauen die Gabe gegeben ist, Magie auszuüben. Aber nicht nur das, er behauptet auch noch, aus einem Land hinter dem Hurn-Meer zu kommen.« Der Kalif gestikulierte mit den Armen. »Alle wissen, daß es ein solches Land
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