Die Rose des Propheten 6 - Das Buch Promenthas
umbringt?«
»Nein!« Mathew hob hastig den Blick. »Es ist nur…« Wie sollte er diesem Krieger die Lehre seiner Eltern erklären, daß sein Volk sich selbst in Kriegszeiten zu kämpfen weigerte und darauf bestand, daß alles Leben heilig sei. Und doch, dachte Mathew verwirrt, hatte es ja auch nie eine Zeit gegeben, da die Heiligkeit ihrer Heime zerstört und ihre Kinder schreiend aus den Armen ihrer Mütter gerissen worden waren.
»Du bist müde«, sagte Khardan, schlug ihm auf die Schulter und half ihm, von den Kissen aufzustehen. »Schlaf etwas, morgen früh wirst du dich schon besser fühlen. Morgen gibt es viel zu besprechen.«
Ich bin müde, dachte Mathew bei sich. Aber ob ich auch schlafen werde? Ob ich jemals wieder schlafen werde? Oder werde ich unentwegt das Blut spüren, auf alle Zeiten diesen gräßlichen Todesschrei vernehmen?
Wenigstens, bemerkte er dankbar, als er das Zelt verließ, würde er mit niemandem darüber sprechen müssen. Er konnte insgeheim und allein zurücktaumeln. Die Stammesmitglieder, die sich in der ersten Aufregung versammelt hatten, beachteten ihn nicht. Es kam zu einer überraschten Reaktion, als Auda seine Geschichte erzählte, und Mathew segnete den Paladin innerlich dafür, daß er den Mord auf sich nahm und ihn aus der Sache heraushielt. Die Leute unterhielten sich lautstark, einige Hrana behaupteten, daß sie der Frau schon auf den ersten Blick mißtraut hätten. Da damit aber Kritik am Kalifen angedeutet wurde, brüllte man sie nieder. Die Akar sprachen lautstark davon, wie sich alle von Meryems Schönheit, Unschuld und ihrem Zauber hatten täuschen lassen.
»Werft sie den Schakalen vor!« rief jemand.
Begleitet von einer Prozession von Nomaden, trug Auda den Leichnam zum Rand des Lagers. Der Körper hing schlaff im Griff des Paladins. Ein weißer Arm fiel plötzlich herab, um in einer Verhöhnung der Verführungskunst herabzubaumeln, so als versuchte Meryem ein letztes Mal, ihrem Schicksal zu entgehen. Doch wenn die Schakale diesen Körper erblickten, würden sie darin nur Fleisch zum Fressen sehen.
Schaudernd und mit einem Anflug von Übelkeit wandte Mathew sich ab.
Er spürte Augen, die sich auf ihn richteten, und als er sich umblickte, sah er Zohra im Eingang zu ihrem Zelt stehen. Sie sagte nichts, und er konnte ihren Blick nicht deuten. Sie gab ihm auch kein Zeichen, und Mathew ging nicht auf sie zu. Natürlich hatte sie Auda sprechen hören. Mathew vermutete aber, daß sie die Wahrheit erraten hatte.
Blindlings ging er weiter. Als er eher zufällig sein Zelt erreicht hatte, wollte er schon eintreten, als ihn der Gedanke daran, sich in diese erstickende Dunkelheit zu begeben, zum Würgen brachte. Mathew zog die Hand von der Zeltklappe zurück. Er atmete die kühle Nachtluft und ließ den Blick über die ihn umgebenden Zelte schweifen. Vor vielen Nächten hatte er einst dasselbe getan – war hinausgetreten, um verzweifelt zu Mond und Sternen hinaufzublicken, während er sich vorstellte, wie sie auf seine Heimat herableuchteten, sich am Wasser zahlloser Ströme, Flüsse, Seen und Teiche brachen.
Heute nacht erblickte er einen neuen Mond, der auf seiner Spitze am Horizont balancierte, als würde er sich selbst noch einmal prüfen, bevor er weiter aufstieg. Die nackte, öde Schönheit stach dem jungen Mann ins Herz.
Die Wüste ist einsam, aber das sind wir alle, eingesperrt in unsere zerbrechliche Fleischeshülle. Sie ist still, groß und leer, und sie verwischt die Spuren des Menschen in ihrem Sand mit achtloser Hand. Sie ist ewig und doch ständig im Wandel begriffen – die Dünen wandern mit dem Wind, plötzlicher Regen läßt Leben emporschießen, wo zuvor nichts anderes war als der Tod.
Die letzten Monate habe ich nur überlebt, weil ich mich davor fürchtete zu sterben. Mathew sah sich plötzlich als jenen kränklichen braunen Kaktus, die Rose des Propheten, der sich zwischen den Felsen an eine sinnlose Existenz klammerte. Auda hatte zu ihm gesagt; Offensichtlich wurde dein Leben aus einem bestimmten Grund verschont. Und alles, was er anscheinend mit diesem Leben anzufangen wußte, war, schmollend zu winseln und zu weinen, daß es nicht das sei, was er wollte. Blumenblüte, nannte Auda ihn. Er könnte entweder verfaulen oder aufblühen, um nicht nur seinem Leben, sondern auch seinem Tod einen Sinn zu geben.
Plötzlich genoß Mathew es, am Leben zu sein.
Er sah auf seine blutbefleckte Hand hinunter. Er hatte ein Leben genommen. Promenthas würde ihn
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