Die Rose von Angelâme (German Edition)
ungeschlachten, ungebildeten, hemmungslosen Menschen trennen. Manchmal sogar in der Kaschemme, vor ihren Augen.“ Sie warf ihm einen schnellen Blick zu und legte sich ihre kleine weiße Hand auf den Mund. „Oh, verzeiht.“
Montgelas hatte die Augen geschlossen und hob nur die Hand, damit sie fortfahre.
„Meistens lässt er mich einen Tag vorher wissen, wann ich dort auf ihn warten soll“, fuhr Giselle zunächst zögernd fort. „Giselaine hat Anweisung gegeben, dass er vor allen anderen Vorrang habe, weil er eine so hoch stehende Persönlichkeit ist. Er mag nicht, wenn sich ihm jemand widersetzt, und Giselaine meint, dass es uns allen schadet, wenn ich ihm gegenüber ungehorsam bin. Manchmal lässt er mich auch umsonst warten.“
Giselle sah für einen Augenblick ein wenig unglücklich drein. Montgelas konnte sich gut vorstellen, dass de Nogaret nicht unbedingt zu den Männern gehörte, die einer Frau gegenüber zimperlich waren. Vermutlich war er nur dann in der Lage seine körperlichen Gelüste zu befriedigen, wenn er das Objekt seiner Begierde vorher auf eine Weise erniedrigte und quälte, die Montgelas sich lieber nicht ausmalen mochte. Schließlich war dieser eiskalte Schatten seiner Majestät überall dafür bekannt, dass es ihm eine geradezu diabolische Freude machte, seine Umgebung ständig durch kleine Boshaftigkeiten zu terrorisieren.
„Ein junger Mann wird dich am Tag nach dem Besuch des Dominikaners pünktlich zu Mittag aufsuchen. Er wird dir diesen Ring hier zeigen.“ Montgelas holte einen rubinbesetzten Ring aus einem Kästchen, das vor ihm stand, und hielt ihn Giselle hin, die ihn mit sehnsüchtigem Blick betrachtete. „Das ist das Zeichen, meine Tochter. Du weißt, was du zu tun hast. Wenn alles erledigt ist, wird dir der junge Mann den Ring schenken. Verkaufe ihn, und du bist frei.“
Giselle stieß einen glücklichen kleinen Schrei aus und bückte sich, um die gichtige Hand des Großmeisters zu küssen. Bevor er sie gehen ließ, nahm er sie in die Arme und flüsterte ihr zu:
„Pass gut auf dich auf, mein Kind. Es ist gefährlich geworden! Sehr gefährlich. Auch für dich.“
„Danke, Vater. Ich tue es für Euch.“
„Siehst du, es klingt doch viel besser als Herr !“, lachte Montgelas und kniff zärtlich in ihre Wange.
Giselle lief zur Tür und schloss sie leise hinter sich.
Montgelas stand lange am Fenster und schaute dem Mädchen nach, welches behände wie ein Reh über die Felder davonlief, zurück nach Paris. Er beschattete die Augen mit der rechten Hand, damit das aufgehende Sonnenlicht ihn nicht blenden konnte.
Dann schüttelte er seine Gedanken ab und beschäftige sich mit dem, was ihm Giselle erzählt hatte: Guillaume Imbert war also Großinquisitor geworden. Montgelas erinnerte sich an die unzähligen Gespräche mit seinen Vertrauten, in denen der Name dieses Mannes immer wieder düster wie ein schlechtes Omen aufgetaucht war.
Mühsam begann der alte Mann, das soeben Erfahrene für sich zu sortieren.
De Nogaret hatte die Kleine vor Eintreffen des fetten Priesters eindringlich darum gebeten, jenem möglichst viel über die längst geplanten Vorhaben zu entlocken, die Guillaume Imbert in seinem Amt als Großinquisitor plante. Er hatte Giselle ein hübsches Sümmchen dafür angeboten, dass sie ihn unverzüglich über das Liebesgeflüster des lüsternen Paters informierte.
Guillaume Imbert hatte im Taumel seiner Glücksgefühle tatsächlich ein paar Dinge ausgeplaudert, von denen er annahm, das Mädchen verstünde ohnehin nichts davon. Giselle hörte artig zu, hatte de Nogaret vor ihrem Besuch in Saint-Germain-des-Prés aber noch nichts darüber erzählt.
Es gab da allerdings auch etwas, das sie Montgelas gegenüber nicht erwähnte. Wie hätte sie auch wissen sollen, dass sie ihr Leben hätte retten können, wenn sie darüber gesprochen hätte? Denn es war nur eine Kleinigkeit gewesen, die sie gleich wieder vergaß.
Diese Kleinigkeit war der Name einer Frau, den Guillaume Imbert immer wieder ausgestoßen hatte, als sie wie gewohnt auf einem niedrigen Schemel in einem roten, samtenen Kleid zu seinen Füßen kniete, welches er ihr geschenkt hatte.
Sie kniete nicht vor ihm, um zu beichten. Sie kniete vor ihm, um ihm den Verbotenen Kuss zu geben, zu dem er sie zwang, seit er vor sieben Jahren zum ersten Mal in ihre Kammer gekommen war. Vor sieben Jahren. Damals war sie gerade elf Jahre alt geworden, und er war ihr erster Freier.
Wenige Tage später fanden
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