Die Rose von Byzanz
Johanna.“ Sie hockte sich neben die Frau mit dem lahmen Bein. Diese schaute nur kurz auf, reagierte aber nicht.
„Verstehst du diese Sprache?“
Ein schmales Lächeln umspielte ihre Lippen. „Natürlich verstehe ich diese Sprache“, antwortete sie leise. „Sie halten uns gerne für dumm, aber das sind wir nicht.“
„Wie heißt du?“
„Sie nennen mich Livia.“
Johanna brauchte nicht nachzufragen. Livia war nicht ihr richtiger Name. Sie schien auch aus dem Norden zu stammen. Mit schmerzverzerrter Miene massierte Livia ihr linkes Bein.
„Ist das eine Verletzung, die dich plagt?“
„Diese Verletzung plagt mich seit Jahren“, erwiderte Livia. „Mein erster Besitzer hat sie mir zugefügt, ja, schau mich nicht so an. Er liebte es, sich am Schmerz anderer zu weiden, und er war darin sehr geschickt. Am liebsten waren ihm die ganz jungen Mädchen, und so geriet ich in seine Hände. Er hat mich zwei Jahre gequält, aber als er mich lahm schlug, hat er mich verkauft.“
„Das ist nicht dein erster …“
„Du meinst, mein erster Besitzer? Nein. Ich habe irgendwann vergessen, sie zu zählen. Und besser wurd’s selten.“ Livia lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Lass mich schlafen, Schwester. Heute Abend werden wir der Meute vorgeführt, und wenn ich ausgeschlafen bin, habe ich vielleicht Glück und mein Blick gefällt einem byzantinischen Adligen so gut, dass er ein paar Münzen drauflegt, um mich vor einem dieser schäbigen Hurenhäuser im Hafen zu bewahren.“ Ihr Blick verlor sich in der Ferne. „Das ist wohl im Moment meine einzige Hoffnung“, flüsterte sie.
Mit einem Seufzen sank Livia auf die Matte und rollte sich zusammen. Im nächsten Moment verrieten ihre tiefen Atemzüge, dass sie schlief.
Johanna saß wie erstarrt neben ihr.
Wie kann es ein Glück sein, verkauft zu werden?
Hatte sich Livia bereits in ihr Schicksal gefügt? War denn Johanna die Einzige, die hoffte, irgendwie dieser Bestimmung zu entkommen?
„Und nun, meine Herren, eine ganz besondere Schönheit. Ihr Haar hat den Glanz von Rubinen, ihr Gesicht das Schimmern von Perlmutt. Sie kommt vollends unberührt zu dem, der den Mut hat, sie zu zähmen. Wer will nicht eine feurige Bettgefährtin für sich gewinnen? Tretet ruhig näher, diese Frau ist es wert, einen zweiten Blick zu riskieren!“
Johanna war eines der letzten Mädchen. Sie wurde von zwei Wachen, die Kallistos für diesen Abend engagiert hatte, auf das Podest geführt, das von Fackeln beleuchtet wurde.
Die letzten Stunden waren schrecklich gewesen. Die Mädchen waren in einem fensterlosen Schuppen eingepfercht worden und warteten darauf, dass man sie holte. Eine nach der anderen verschwand und kehrte nicht zurück. Auch Livia verschwand irgendwann. Sie hatte zuvor stumm neben Johanna gehockt. Zuletzt waren nur noch fünf Mädchen im Schuppen: die Zwillinge, die Nubierin, eine Wüstentochter und Johanna.
Als sie auf das Podium geführt wurde, blinzelte sie und versuchte, in der Menge irgendwelche Gesichter auszumachen. Es schienen weit über hundert Männer zu sein, die sich an diesem Abend versammelt hatten. Viele Adlige in teurer Kleidung, aber auch schmerbäuchige, widerlich grinsende Typen, die sich angetrunken an die Frauen klammerten, die sie bereits ersteigert hatten.
„Ich höre Eure Gebote, meine Herren! Bedenkt, sie wird jedem, der sie in sein Haus holt, Ehre machen. Man wird Euch bewundern, weil Ihr einen solchen Schatz zu erkennen vermögt!“
Einen Moment passierte nichts. Kallistos trat neben Johanna und packte sie am Arm. „Sie wird zahm sein, sobald Ihr sie eingeritten habt!“, lockte er die Käufer. „Lasst Euch nicht von ihrem wilden Blick verschrecken!“
Aus den hinteren Reihen wurde das erste Gebot gerufen. „Fünf Solidos!“
Die Köpfe der anderen Männer fuhren herum. Einige traten beiseite, sodass auch Johanna den Mann sehen konnte, der dieses hohe Einstiegsgebot gemacht hatte.
Ihr stockte der Atem.
Es war Eirik Hallgrimsson.
An diesem Abend trug er nicht die Uniform des Warägeroffiziers. Er stand mit verschränkten Armen breitbeinig da. Sein finsterer Blick schien sie förmlich zu durchbohren. Johanna schwankte. Hätte Kallistos sie nicht so fest am Arm gepackt, wäre sie auf die Knie gesunken, hätte ihre Hände zum Gebet gefaltet und hätte gefleht, dass er ihr diese Schmach nicht antat. Ihr Körper aber erinnerte sich sogleich wieder an die Hände des Nordmanns. Ein Pulsieren durchzuckte ihren Schoß. Die
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