Die Rose von Byzanz
dem Grund wollte, weshalb dann?“ Sie wirkte nachdenklich. Ihre Hände zupften am Stoff des blauen Kleids herum. „Nun, wir werden es herausfinden.“
Leise war Ermingard zurückgekehrt und wartete still im Hintergrund, bis Theodora sie bemerkte.
„Ermingard wird euch jetzt eure Gemächer zeigen. Ihr bekommt neue Kleider und könnt euch ausschlafen. Morgen ist genug Zeit, um eure Fragen zu beantworten. Ihr habt bestimmt einige.“
Johanna begriff, dass ihre Mahlzeit beendet war. Sie hatte die Speisen kaum angerührt, und sehnsüchtig ging ihr Blick zu den Platten und Schüsseln. Zu viele Gedanken hatten sie vom Essen abgelenkt.
Ohne etwas zu sagen, nahm Theodora aus einer Schüssel ein Stück weißes Hühnchenfleisch, an dem noch die krosse Haut klebte, und aus dem Korb eine dicke Scheibe vom Brot. Sie reichte beides Johanna. Auch ihre Hand war von Brandnarben entstellt. Johanna nahm die Gabe und wollte etwas fragen, doch stumm schüttelte Theodora den Kopf.
„Morgen“, wisperte sie. „Geh jetzt.“
Als sie an der Tür waren, drehte Livia sich noch einmal um. Johanna wandte den Kopf. Noch immer stand Theodora reglos am Tisch, wandte ihnen den Rücken zu und starrte ins Leere.
„Wie lange bist du schon hier? Wie viele Mädchen hast du kommen und gehen sehen?“
Schweigen. Dann, mit einer Stimme, die rau und brüchig klang, antwortete sie: „Zu lange. Zu viele.“
„Kommt“, sagte Ermingard. „Bald wird es schon wieder hell.“
Das war vermutlich eine Hoffnung, die einen so manch dunkle Nacht durchstehen ließ, dachte Johanna, als sie der älteren Frau folgte. Diese Welt war nun ihr Zuhause. Vieles war ihr fremd, und manches ängstigte sie. Ihre Hand drückte Brot und Fleisch an die Brust, und sie spürte ihr Herz unnatürlich laut und schnell.
„Erwarte keine Liebe“, sagte Theodora. Noch immer stand sie reglos. „Dann kannst du hier überleben.“
Das Gemach, in das Ermingard sie führte, war überraschend groß. Ein breites Bett – ein richtiges Bett mit gedrechselten Pfosten, einem Betthimmel, der sich samtblau über der Bettstatt spannte, einer weichen Matratze, Kissen und Decken – und eine Truhe, zwei Sessel vor dem Kamin, ein kleines Tischchen. Das war die Einrichtung. Es gab einen Balkon, Fenster und Tür waren durch leichte Vorhänge verschlossen, die der Wind mit jedem Hauch leise blähte.
Auf dem Bett lagen drei Kleider ausgebreitet. Ein Waschzuber stand bereit, mit dampfend heißem Wasser gefüllt. Der Duft blumiger Essenzen erfüllte den Raum, und auf einem Hocker lagen Badetücher bereit, darauf ein Schwamm.
Ermingard hatte es eilig, ihr alles zu erklären. „Wenn du etwas brauchst, schlägst du diesen kleinen Gong.“ Sie nickte zum Tischchen, auf dem ein kleiner Gong stand. Ein Bronzeklöppel lag daneben. „Morgen früh hole ich dich ab. In Zukunft darfst du dein Gemach jederzeit verlassen und dich frei im Trakt bewegen, darfst jederzeit in den Garten. Halte dich zur Verfügung, falls man nach dir ruft.“ Sie zögerte. „Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
So gerne hätte Johanna die Ältere ausgefragt. Aber Ermingard ging, und ihr Rücken war steif und abweisend. Dann war es zu spät. Johanna war allein.
Sie sank zuerst auf einen der Sessel. Ihre Finger zupften Stückchen vom Fleisch, steckten sie in den Mund. Es war köstlich. Das beste Hühnchen, das sie je gegessen hatte. Das Brot war so weich und hell, dass es im Mund zerging. Sie kaute und schluckte mit Bedacht, während sie sich im Raum umschaute.
Dies war also ihr neues Zuhause. Hier sollte sie leben. Und warten.
Wann wohl Andronikos das erste Mal zu mir kommt?
Der Gedanke an den höflichen jungen Mann, der von nun an über ihr Leben bestimmte, ließ sie erschaudern.
Sie zog die dreckige Tunika über den Kopf und warf sie achtlos zu Boden. Dann stieg sie in den Zuber. Das Wasser war wohltuend heiß, und sie streckte sich aus. Schon spürte sie, wie sich ihre Muskeln lockerten. Die Duftöle, die dem Badewasser zugefügt waren, entspannten ihren Geist. Ihr Herzschlag verlangsamte sich. Die beständige Aufregung, die sie seit Tagen erfasst hatte, wich entspannter Ruhe. Müde schloss sie die Augen und versuchte, sich an das Gesicht des Byzantiners zu erinnern. Gab es irgendwelche Anzeichen für das Böse in ihm, das Livia und Theodora sehen wollten? Aber warum war sie bei ihm von der Hoffnung beseelt, er könnte anders sein?
Nur weil er sie vor Eirik Hallgrimsson bewahrt hatte?
Doch sein zartes Jungengesicht
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